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Kultur: Zwei Farben Schwarz

Historikerstreit in Frankreich: Die Grande Nation streitet erneut über ihre Kolonialgeschichte

Weiße Ärzte, die schwarze Kinder mit großen Augen gegen Pocken impfen: Dieses Bild kennt jeder Franzose und behielte es gerne in ungetrübter Erinnerung. Es erlaubt der Grande Nation, ihre Kolonialgeschichte derart zu beschönigen, dass Frankreich aus der Reihe der bösen, rassistischen Kolonialmächte herausfällt. Damit solche Bilder auch künftig den Schulunterricht und die Forschung prägen, hatte der UMP-Abgeordnete Christian Vanneste einen neuen Gesetzespassus verfügt, der nun die Gemüter erregt: „Die Forschungsprogramme gewähren der Geschichte der französischen Präsenz in Übersee und insbesondere in Nordafrika den ihr gebührenden Platz. Die Schulkurrikula würdigen die positive Rolle dieser französischen Anwesenheit.“

Kolonialismus als Wohltat? Es hagelte Protest, insbesondere aus dem Überseedepartement Martinique. Der alerte Innenminister Sarkozy sagte deshalb eine Antillenreise ab. Fast scheint es auch, als könne die versprengte französische Linke im Widerstand gegen den als revisionistisch gebrandmarkten Artikel 4 des Gesetzes vom 23. Februar 2005 wieder zusammenfinden. Die Hoffnung keimte auf, als Vertreter der linken Gruppen vor einer Woche im Pariser Saal der Mutualité zusammenfanden.

Warum hebt man den Artikel nicht einfach wieder auf, wie eine vom Sozialisten Dominique Strauss-Kahn initiierte Petition fordert (www.abrogation.net)? In der Regierung ist nur Tourismusminister Léon Bertrand gegen das Gesetz. Die beiden konservativen Top-Kandidaten für das Präsidentenamt bei der Wahl 2007 reagieren ausweichend, Dominique de Villepin auf staatsmännische, Nicolas Sarkozy auf populistische Weise. „Es ist nicht Sache der Politiker, Geschichte zu schreiben. Es gibt keine offizielle Geschichte Frankreichs“, sagte der Premier im Radio. Und Innenminister Sarkozy meinte im Fernsehen: „Diese ständige Reue, die dazu führt, dass man sich für die französische Geschichte entschuldigen muss, grenzt ans Lächerliche.“ Jetzt hat die Gruppe Act Up Paris sein Gesicht mit dem Schriftzug „Wählt Le Pen“ montiert und die Häuserwände damit plakatiert.

Die Agit-Prop-Botschaft kommt nicht von ungefähr: 30 Prozent der Franzosen, so eine aktuelle Statistik, halten die Ideen der Front National inzwischen für hoffähig. Und der Stimmenanteil derer, die die Front National für inakzeptabel halten, sank in zehn Jahren um zehn Prozent. Das Buhlen um die ultrarechte Wählerklientel im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen stärkt nicht zuletzt Le Pen selbst. Er kann in einer Grauzone der Verdrängung agieren, in der das Gesetz zur Anerkennung der französischen Heimkehrer auch den Blick auf die Geschichte zurechtbiegt.

Bis heute sieht Frankreich im Verlust Algeriens vor mehr als 40 Jahren nicht das Ende einer Unrechtsgeschichte. Einst ließ sich das Land von „Adieu, mon pays“, Enrico Macias Abschiedschanson, rühren und repatriierte die Algerienfranzosen, vor allem nach Südfrankreich. Dabei wurde versäumt, ihnen klar zu machen, dass sie nicht mehr auf Schwarze und Araber herabblicken dürfen. Viele von ihnen wurden Stammwähler Le Pens.

Die Geschichte von französischer Unterdrückung, Folter und Krieg in Algerien blieb verdrängt. Es gab weiter Gelegenheitsrassismus und milde Apartheid, wie zuvor verstand sich Frankreich als Zivilisationsbringerin in einer Welt der Barbarei. Die eigenen Kolonien galten als positives Gegenbild zur kruden Ausbeutung anderer europäischer Nationen. Selbst Präsident Chirac steht in dieser paternalistischen Tradition; Teile des französischen Afrika huldigen ihm noch heute.

Aber allmählich polarisiert dieses Geschichtsbild die französische Gesellschaft doch, und Chirac scheint zunehmend isoliert. Während Le Pen rechts sagt, mit welcher Politik die Wähler abgeholt werden müssen, halten die schwarzen Franzosen Martiniques dagegen: „Eine der Bedingungen für unsere Unterstützung eines Präsidentschaftskadidaten ist seine Haltung zu dem Gesetz“, erklären dort die Politiker geschlossen. Der Dichter Eduard Glissant verurteilt den inkriminierten Passus als Versuch, die Verantwortung einer profitablen und verdammungswürdigen Unternehmung zu kaschieren. Sein Schriftstellerkollege Aimé Césaire hatte bereits vor Beginn der Anti-Sarkozy-Demonstrationen angekündigt, dass er dem Innenminister nicht die Hand schütteln werde. Plötzlich sieht sich Frankreich mit einer weiteren Folge der jahrzehntelangen Verdrängung konfrontiert: „La question noire – die schwarze Frage“ ist wieder Thema.

Für Christiane Taubira, einer Abgeordneten aus dem Überseedepartement Guyana, ist das Festhalten am Gefälligkeitsartikel über das Positive am Kolonialismus besonders schmerzhaft. Sie kämpfte vergeblich dafür, dass der 10. Mai zum nationalen Gedenktag an den Sklavenhandel erklärt wird, als Erinnerung an ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Die Nationalversammlung hatte dies 2001 zwar anerkannt, bloß der Bevölkerung will man das Eingeständnis anscheinend nicht zumuten.

Aber auch dieses Tabu-Thema wird zurr gemeinschaftsstiftenden Chiffre für die schwarzen Nachfahren im kleiner werdenden französischen Imperium. Die Geschichte der Einwanderung ins französische Mutterland will übrigens ein neues Pariser Museum erforschen, das am Standort des bisherigen Musée des Arts d’Afrique et d’Océanie entstehen soll, einer etwas verstaubten folkloristisch-ethnologischen Sammlung nahe der Porte Doré. Das künftige Migrationsmuseum entspricht dem oft geäußerten Wunsch von Wissenschaftlern, die verstreuten Erkenntnisse und Dokumente zur Migration endlich zusammenzuführen. Noch existiert das vom ehemaligen Kulturminister Jacques Toubon geleitete Zentrum nur virtuell (www.histoire-immigration.fr); im April 2007 soll es eröffnet werden.

Dass es sich seinem Gegenstand nicht nur museal wird nähern können, legt eine Bemerkung des malischen Präsidenten Amadou Toumani Touré auf dem letzten französisch-afrikanischen Gipfeltreffen in Bamako nahe. Wenn die wirtschaftlichen Rahmendaten sich nicht ändern, so Touré, lebt in 20 Jahren einer von zehn Afrikanern außerhalb Afrikas. Millionen von neuen Migranten: Nicht wenige davon werden nach Frankreich gehen.

Eberhard Spreng

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