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Kultur: Zwei im roten Kreis

„Hanumans Reise nach Lolland“: Andrej Iwanows Roman über illegale Einwanderer in Dänemark.

Da haben sich zwei extrem unterschiedliche Charaktere gefunden. Sid, der eigentlich Ewgeni heißt und aus Estland stammt, und Hanuman aus Indien. Sie beide sind sogenannte Illegale in einem dänischen Flüchtlingslager. Stets müssen sie auf der Hut vor der Entdeckung durch die Behörden sein. Das hält sie nicht von allerlei hanebüchenen Unternehmungen ab, die für sie Geld und Zerstreuung bedeuten. Sid und Hanuman sind die beiden Hauptfiguren aus Andrej Iwanows ungewöhnlich coolem Roman „Hanumans Reise nach Lolland“, mit dem es der 42-jährige estnische Autor auf die Shortlist des russischen Booker-Preises geschafft hat.

Die Beleuchtung des sonst so hermetischen Innenlebens der von den Behörden als illegal definierten Existenzen gerät hier zu einer zwielichtigen Angelegenheit. Denn Sid, Hanuman und all die anderen benehmen sich einfach nur: menschlich. Sie saufen, kiffen, stehlen, gehen ins Bordell. Sie weinen, verzweifeln, lachen und lieben. Das alles unterscheidet sich fundamental von der distanzierten, nahezu technisch kalten Zurkenntnisnahme einer Gruppe von Personen, die als Flüchtlinge oder Illegale unter uns leben.

Eigentlich unzertrennlich und dennoch ständig im Streit, schlagen sich Sid und Hanuman mit derben Sprüchen auf den Lippen durch dieses Leben. Hanuman träumt vom großen Erfolg mit immer neuen absurden Geschäftsideen, von Amerika oder wenigstens vom dänischen Urlaubsparadies Lolland. Sid ist auf der Flucht vor Interpol und will eigentlich nur unauffällig die Zeit vergehen lassen, bis er sich wieder, der Verjährung sei Dank, aus dem Sumpf seiner derzeitigen Situation ziehen kann. Um überleben zu können, benötigt er die Impulsivität seines indischen Freundes wie das tägliche Brot, um das beide wiederum jeden Tag aufs Neue kämpfen müssen. Ist dann mal Geld da, wird es zu Dealern oder auf den Strich getragen, einfach um zu vergessen, dass morgen wieder Brot besorgt werden muss. Sid und Hanuman bewegen sich im Kreis. Immer wieder unternehmen sie Streifzüge durch die dänische Provinz, die in ihrer Ordnung und Sauberkeit keine größere Diskrepanz zum Leben in der Illegalität darstellen könnte. Aber trotz aller Pläne und Ausflüge kommen beide keinen Schritt weiter, landen sie immer wieder im Flüchtlingslager, das zu ihrer einzigen sicheren Anlaufstelle geworden ist.

Sid und Hanuman hassen Dänemark und begreifen ihr Outlaw-Dasein als Rache. Hanuman stiehlt: „Nie verließ er ein Lokal ohne Aschenbecher oder Salzstreuer. Man könnte meinen, er wäre entweder ein Kleptomane oder ein gewöhnlicher Verrückter. Aber er war weder das eine noch das andere. Er rächte sich schlichtweg an der Welt für all die Verletzungen, die sie ihm bescherte; er verachtete die Menschen, denen das Leben hier leichtfiel.“ Das Warten auf den Bescheid der Einwanderungsbehörde bestimmt das Leben der Lagerbewohner. Sid und Hanuman haben nicht einmal diese Hoffnung. Sie warten einfach, dass ihre Zeit vergeht – und insgeheim, dass ihre Zeit doch irgendwann kommen wird.

„Hanumans Reise nach Lolland“ ist ein tragisches Roadmovie in einem Kreisverkehr ohne Ausfahrten. Dennoch ist der Roman frei von Moralisierungen oder Appellen. Sympathie oder Mitleid mit den Romanfiguren ist nicht vorgesehen, was sie im Umkehrschluss wieder sympathisch werden lässt. Mit diesem schönen erzählerischen Kniff lässt Andrej Iwanow seine realistische Beschreibung der prekären Situation Illegaler in Europa umso runder werden. Dennis Grabwosky

Andrej Iwanow:

Hanumans Reise

nach Lolland. Aus

dem Russischen von

Friederike Meltendorf. Verlag Antje Kunstmann, München 2012.

400 Seiten, 19,95 €.

Dennis Grabwosky

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