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Kultur: Zwei Schritte vor, einer zurück

Das erste Jahr der Ruhr-Triennale: Grübers „Don Giovanni“ und Marthalers Schönberg-Variationen

Von Frederik Hanssen

Ohne Gerard Mortier wäre aus der Idee wahrscheinlich nichts geworden. Da ist Peter Landmann, der Geschäftsführer der Ruhrtriennale, ganz ehrlich. Als es damals in einer Runde beim nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Clement darum ging, wie man die im Rahmen der Bauausstellung „IBA Emscher Park" wieder gangbar gemachten einstigen Zechen und Hütten dauerhaft beleben könne, kam natürlich schnell die Idee eines Kulturfests auf. „Wenn ihr mir eine tolle Persönlichkeit präsentiert, ist das Land dabei", hatte Clement geantwortet.

Das war im August 2000. Schnell suchte Landmann den Kontakt zu Gerard Mortier. Der Kulturmanager, der gerade erklärt hatte, die Intendanz der Salzburger Festspiele zum Sommer 2001 abzugeben, war frei – und von Interessenten belagert. Auch in Berlin konnten sich viele Mortier als Staatsopernleiter oder Chef der Festspiele vorstellen. Doch Düsseldorf war schneller: Mortier nahm die Herausforderung an, den Kohlenpott zum Glänzen zu bringen. Die Pläne dazu entwickelte er während eines Aufenthalts am Berliner Wissenschaftskolleg.

Der erste Premierenreigen ist vorüber. „Avantgarde für alle!" heißt das Motto an der Ruhr, die Eintrittspreise sind moderat, fast jeder Veranstaltungsort bietet auch Tickets zu zehn Euro an. Anknüpfungspunkte an Mortiers Salzburger Zeit sind einige Wiederaufnahmen spektakulärer Produktionen, so im kommenden Jahr Marthalers „Figaro“ und „Damnation de Faust" in der Version von La Fura dels Baus. Mortier nutzt seine Verbindungen, um Stars wie Bob Wilson, Patrice Chéreau und Peter Sellars ins Ruhrgebiet zu locken. Doch will er vor allem die Innovativen zwischen Hamm und Krefeld bekannt machen: Dirigenten wie Marc Minkowski und Philipp Herreweghe oder Regisseure wie Jossi Wieler und Stefan Bachmann. Am deutlichsten aber zeichnet sich Mortiers Programm dort ab, wo gelacht werden darf: Neben dem Slowmotion-Magier Marthaler wird der zartbitter-melancholische Ruedi Häusermann hier arbeiten, aber auch der blitzgescheite Blödelbarde Helge Scheider. Da kann unter dem Mantel des Schöngeistigen schon mal ein Blitzer stecken, ein nackter Clown.

So einer wie Graham F. Valentine. In der Gebläsehalle der Duisburger Thyssen-Werke gibt er Arnold Schönbergs „Pierrot lunaire“. Christoph Marthaler schickt ihn im scheußlich-schönen DDR-Bürokratie-Ambiente von Anna Viebrock auf eine leise Reise durch die mondbleiche Nacht. Wo Arnold Schönberg in seinem Sprechgesangsstück den Gedichten von Albert Giraud mit scharfkantiger Atonalität das Dekadent-Neblige austreibt, geht Marthaler noch einen Schritt weiter. Er verbannt alles Atmosphärische in den Kopf des halb wahnsinnigen, halb ekstatisch-verzückten Protagonisten. Das ist harter Tobak, zumal man bei Graham F. Valentines expressionistischer Deklamation den Text kaum verstehen kann.

Auf jedwede Inszenierung verzichtet Marthaler dann im zweiten Teil des Abends, wenn er die Musiker vom Klangforum Wien auf die Bühne bittet, wo sie ganz allein und sehr konzentriert Olivier Messiaens großes „Quatuor pour la fin du temps“ spielen. Da wird dann doch der Veranstaltungsort zur eigentlichen Sensation: Was heute unverfänglich Landschaftspark Duisburg-Nord heißt, ist ein tausendköpfiges Albtraummonster aus Rohren, Kesseln, Stahlträgern, ein Industrie-Ungeheuer von geradezu apokalyptischer Schönheit. Wenn es in den Schrebergarten-Kolonien drumherum schon nach Herbst riecht und sich die Sonne am frisch geharkten Himmel mit gelbgrünen Lichtspielen in die Nacht verabschiedet, wandelt der Besucher wie im Traum übers Gelände.

Seit Ende August läuft Mortiers erste Ruhr-Saison, und inzwischen kommt das zunächst kritisch abwartende Publikum auch zu den Veranstaltungen. 74 Prozent der Karten waren bis zum vergangenen Wochenende verkauft. Seine ästhetische Feuerprobe hatte Mortier aber erst jetzt zu bestehen: Im Ruhrfestspielhaus von Recklinghausen lud er zu Mozarts „Don Giovanni“ in der Inszenierung von Klaus Michael Grüber: ausgerechnet zu jenem Repertoire-Dauerbrenner, den selbstverständlich auch die zehn (!) Opernhäuser in unmittelbarer Nähe regelmäßig auf den Spielplan setzen. Da musste schon etwas ganz Besonderes, wirklich Neuartiges geschehen.

Er sei noch ganz und gar von der Poesie der Grüberschen Inszenierung berauscht, erklärt Mortier auf dem Premierenempfang. Aber man muss es nicht unbedingt poetisch finden, wenn der Tanzgestus der Mozartschen Musik dadurch verdeutlich wird, dass im menuettartigen Schluss des „Reich mir die Hand mein Leben“-Duetts Don Giovanni und Zerlina infantil hüpfend die Bühne verlassen. Oder wenn das muntere Bauernvölkchen mit riesigen Kirschblütenzweigen wedelt. Oder wenn ein Herr mit Trenchcoat und Hut – der Schauspieler Rüdiger Vogler – als „Fremder“ über die Szene schleicht und dabei das ach so poetische Treiben stumm betrachtet.

Viele im Publikum mögen dieser lyrischen Werksicht nicht folgen. Ihnen will sich die Magie der Ausstattung von Eduardo Arroyo kaum erschließen, der allerlei überdimensionierte Kerzen, Türklopfer und Blumenschalen in der Playmobil-Optik der achtziger Jahre auf die Bühne rollen lässt. Man ärgert sich über den unentschlossenen Kostümbildner Rudy Sabounghi, der die Protagonisten in abstrahiert Barockes steckt, dem Chor die schrillbunte Travestie eines Karnevalsvereins zumutet und Giovannis Personal als langbeschürzte Kellner im Stil gehobener Gastronomieeinrichtungen der Jetztzeit aufmarschieren lässt.

Viel lieber würde man von Grüber etwas darüber erfahren, wie er denn nun zu Don Giovannis Lebens- und Liebescredo steht, wie er überhaupt das ganze Stück interpretiert. Aus ihren Stadttheatern sind die Zuschauer hier klare Statements von meinungsstarken Regisseuren gewohnt und wollen darum mehr sehen – mehr als rudernde Arme und erstarrtes Rampensingen. Am Ende macht sich der Unmut auch lautstark Luft.

Ohne Zweifel liebt Hans Zender Mozart genauso wie Grüber. Doch Komponist, der er ist, lässt er sich bei seinem Dirigat dazu hinreißen, jede geniale Wendung, jedes überraschende Detail einzeln vorzuzeigen. Also dehnt er die Tempi, verweilt, weil der Augenblick so schön ist, und zerstört den musikalischen Fluss. Weil er es außerdem gestattet, dass große Teile der Rezitative nicht gesungen, sondern gesprochen werden (was gegen Zenders Logik spricht, weil sich Mozarts Genie ja auch darin manifestiert, wie organisch sich die Arien aus den Rezitativen entfalten), fällt die Aufführung ständig in atmosphärische Löcher. So wird Mozarts theatralischer Feueratem zu einem linden Lüftchen abgekühlt.

Manches rettet immerhin das Mahler Chamber Orchestra, weil ihnen der „Don Giovanni“ in Peter Brooks und Daniel Hardings sensationeller Deutung beim Festival von Aix-en-Provence offenbar in Herz und Seele übergegangen ist. Die jungen Musiker können mit zwei Tönen eine ganze Geschichte erzählen, sind Meister der kompositorischen Rhetorik, vermögen die Auflösung einer simplen harmonischen Spannung so klar konturiert zu gestalten, dass sich selbst dem ungeübten Hörer der Sinn sofort erschließt.

Mit weniger „Poesie“ in der Regie und am Dirigentenpult hätte dieses grandiose Orchester zusammen mit den jungen Sängern einen sensationellen Opernabend hinlegen können. Denn die individuellen Stimmfärbungen der Solisten sind wie bei einem gelungenen Parfum sensibel aufeinander abgestimmt: Da ist Maria Bayos frei strömender, koloraturklarer Sopran als Donna Anna, das ist Catherine Nagelstads intensive Elvira (wenn auch mit langsam unüberhörbaren Höhenproblemen). Toby Spence beeindruckt mit seinem stolzen Jünglingstenor, José Fardilha gibt einen deftigen Leporello, der gerade 26-jährige Stéphane Degout empfiehlt sich als agiler, entwicklungsfähiger Titelheld.

Zwei Schritte vor, einer zurück: Wenn Mortier diese Vielfalt, dieses Tempo in den kommenden beiden Triennale-Jahren beibehält, wird er am Ende erfolgreich sein. Damit kommt er immerhin doppelt so schnell voran wie der bundesrepublikanische Durchschnitt.

Triennale-Vorstellungen bis 13. Oktober.

Informationen unter www.ruhrtriennale.de

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