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Kultur: Zweistimmig

Douglas Gordons Videokunst auf dem Dorf.

Von Posen nach Bisdorf, einem Dorf bei Wolfsburg, ist das Kammerorchester des polnischen Rundfunks gereist, um an der Performance von Douglas Gordons zweiteiliger Video-Installation „k.364“ teilzunehmen. In genau umgekehrter Richtung verläuft die Reise, die Thema dieser Installation ist: eine Zugfahrt zweier israelischer Musiker, die 2010 von Berlin über Posen nach Warschau reisen, um dort an der Aufführung von Mozarts konzertanter Sinfonie für Violine und Viola, K.364, mitzuwirken.

Worüber sich die beiden bei ihrer Fahrt unterhalten und wie sie dabei Geschichte und Gegenwart der deutsch-polnischen Beziehungen diskutieren, ist in dem ersten Teil von „k.364“ zu sehen. Der Holocaust und das Schicksal der eigenen Familien spielen dabei eine zentrale Rolle. Das zweite Video der Installation zeigt die Aufführung der Mozart-Sinfonie in Warschau, in der ebenfalls ein Dialog stattfindet: zwischen Violine und Viola. Jenes Video begleiteten nun das angereiste Orchester und die beiden Solomusiker im Schafstall Bisdorf – ein wohlkalkuliertes Zitat der Anfänge des Kinos.

Seit „Feature Film“ (1999) steht klassische Musik, die Parallelisierung von Film und Konzert, im Fokus des schottischen Videokünstlers, der mit „24 Hours Psycho“ Anfang der Neunziger international reüssierte. In „Feature Film“ ist James Conlon zu sehen, wie er die Filmmusik zum Thriller „Vertigo“ dirigiert. Gezeigt werden vor allem Gesicht und Hände des Dirigenten, in dessen Körpersprache die Spannung der Musik ablesbar wird. Seitdem sind Gordons Arbeiten komplexer geworden; er hat sich aus dem engen Konzept des medialen Crossover von Pop, Film und Kunst heraus entwickelt.

Der Frage nach einer in Zeit und Raum nicht eindeutig zu definierenden Präsenz aber ist der in Berlin lebende Schotte treu geblieben. In „k.365“ wird sie auf mehreren Ebenen gestellt: durch die Konfrontation von jüngerer Zeit- und älterer Musikgeschichte wie durch das Motiv des Reisens. Zugleich stellt die musikalische Livebegleitung in Bisdorf die Existenz von eindeutig bestimmbaren Zeitverläufen auf die Probe. Das Spiel der Musiker verlief keineswegs deckungsgleich mit ihrem im Video gezeigten Auftritt. Da kreative Prozesse nicht identisch nachgespielt werden können, stellte sich zunehmend Asynchronität ein. Liveton und Bild fielen in einem ebenso spannungsvollen wie irritierenden Wechselspiel von „Differenz und Wiederholung“ (Gilles Deleuze) auseinander. Raimar Stange

Raimar Stange

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