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Zwischen den SPIELEN (10): Das Endspiel

Vorspiel oder Zwischenspiel, das zumindest scheint das Endspiel nicht (mehr) zu sein. Finale ist Finale, und vorbei ist vorbei, Schluss.

Vorspiel oder Zwischenspiel, das zumindest scheint das Endspiel nicht (mehr) zu sein. Finale ist Finale, und vorbei ist vorbei, Schluss. Punkt. Aus. Oder gilt das doch nicht, ist auch das Endspiel mehr als nur das Ende vom Spiel?

Im Sport hat sich längst die Redeweisheit durchgesetzt, dass „nach dem Spiel“ nur „vor dem Spiel“ sei. Diese Wendung entspringt dem Prinzip Hoffnung: dass es irgendwie immer, immer weitergehen möge. Mit unserem Leben zum Beispiel. Das ist zwar endlich, aber zu Ende doch bitte nicht schon heute oder morgen. Selbst Endzeiten, etwa des Öls, des Buchs, der Zeitung, des Klimas, selbst die dehnen sich ziemlich weit ins Ungewisse und so noch Hoffnungsvolle. Auch der Bürger galt um 1968 ff. bereits als sterbende Figur und trat nur mehr als „Spätbürger“ in soziopolitischen Aufsätzen in Erscheinung. Aber auch sein Finale läuft mit Mut und Wut immer weiter, und ebenso ergeht es der Moderne, und sei es in ihren Post-Post-Formen.

Das berühmteste Endspiel hat Samuel Beckett erdacht und inszeniert. In seinem jetzt genau 60 Jahre alten ersten Jahrhundertstück „Warten auf Godot“ knüpft sich die Erwartung noch an eine (nie auftretende) Person, im vier Jahre danach geschriebenen „Endspiel“ gibt es dagegen schon keine andere Aussicht mehr als die Sicht aufs Aus. Trotzdem ist das „Endspiel“ keine Tragödie, kein Trauerspiel, sondern eher eine agnostische Farce, und der berühmteste Satz darin lautet: „Nichts ist komischer als das Unglück.“ Beckett, ein Humorist wie Kafka oder der liebe Gott, variiert die Einsicht, dass auch jeder Witz auf einem menschlichen Missgeschick, ja einer kleineren oder größeren Katastrophe beruht.

Becketts Endspieler namens Ham und Clov sind daher, obwohl grau in grau gezeichnet, zwei schillernde Figuren. Sie spielen Herr und Knecht, König und Bettler, Narr und Philosoph, Spott und die Welt. Ham wirkt an seinen Stuhl (oder Thron) gefesselt wie schon zwei Jahrzehnte zuvor die Titelfigur in Becketts erstem Roman „Molloy“, der mit dem unsterblichen Satz begann: „Die Sonne schien, da sie keine andere Wahl hatte, auf nichts Neues.“ So scheint sie noch immer, und auch das Endspiel endet vorerst nimmermehr. Es kennt darum keine Nachspielzeit, sondern nur jene kleine Ewigkeit, die Beckett in einem späteren Text das „ausgespielt spielen“ nennt. Die Welt, das Leben: ein Spiel, nicht mehr und nicht weniger, vielleicht hoffnungslos, aber nicht ernst. Du hast keine Chance, also nütze sie. Scheitern, immer besser scheitern, sagt Samuel B. – sei ein glücklicher Sisyphos, denn dabei sein ist alles und wichtiger als der Erfolg.

War das nicht einst die Botschaft jener Spiele, die morgen wieder beginnen? Peter von Becker

Peter von Becker

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