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Vergangenheit, die nicht vergeht. Installation von Mykola Ridnyi.

© M. Ritzmann

Kiew-Biennale in Leipzig: Zwischen Krieg und Frieden

Ukrainische Künstler stellen zusammen mit Kollegen aus Deutschland, Österreich, Italien und Skandinavien in der Galerie für zeitgenössische Kunst aus.

Die Aufmerksamkeit für die immer neuen Krisenschauplätze der Welt ist heute strapaziert – und zerstreut. Eben noch war die Ukraine in allen Nachrichten, heute schon scheinen die Konflikte im größten Flächenstaat Europas wieder so nah wie fern. Und was wissen wir über die Künste dort, in Zeiten, in denen, wie Brecht einmal sagte, ein Gespräch über Bäume wie ein Verbrechen wirkt?

Gerade im Gegensatz von Imagination und Wirklichkeit, Utopie und Ausnahmezustand öffnet sich das Feld für die Künstler. Ganz exemplarisch kann man das in der zum nachdenklichen Staunen anregenden Ausstellung mit dem wunderlichen Titel „Die Schule von Kyiv“ (gemeint ist: Kiew) in der Galerie für zeitgenössische Kunst Leipzig erfahren. Gleich zu Anfang trifft der Besucher auf sechs zunächst eher stille Fotografien. Es sind Schwarz-Weiß-Aufnahmen, hier ein kinderspielhafter Turm aus Pflastersteinen, dort ein paar womöglich angebrannte Autoreifen am Boden, offenbar Marmor, ein kleines Loch, ein schmaler Riss. Die Bilder stammen vom Maidan in Kiew, und Fotografin Anna Zvyagintseva hat nicht die üblichen Demonstrationsbilder reanimiert. Ihre Stillleben zeigen das Davor und Danach. Die Pflastersteine sind so keine Wurfgeschosse mehr, sondern wirken wie ein Klötzchenturm, und durch den Marmorboden geht plötzlich ein Riss. Wie durch das Leben in und nach dem Bürgerkrieg.

In einem halb abgedunkelten Raum sind Lehmmodelle platziert, Nachbildungen von Bunkern in der Ukraine. Manche erinnern auch an Tempel oder Pyramiden, an Opfer- und Grabstätten. Im Hintergrund lässt Skulpturist und Filmemacher Mykola Ridnyi ein Video laufen: Ein junger Mann setzt im Keller einer ukrainischen Militärschule hektisch-mechanisch immer aufs Neue eine Maschinenpistole zusammen. Damit korrespondiert ein Video des Berliner Duos „titre provisoire“ (Cathleen Schuster & Marcel Dickhage), das ähnlich mechanistische Bewegungen einer Frau zeigt. Es sind – als gespenstische Pantomime – ihre tagtäglich gleichen Griffe: bei der Fließbandmontage von Mobiltelefonen. Krieg und Frieden, Hightech und Entmenschlichung grenzen da unheimlich nah aneinander.

Die Galerie residiert in einer vom Dresdner Architekten Peter Kulka elegant entkernten Neo-Renaissance-Villa in Sichtweite der international berühmten Hochschule für Grafik und Buchkunst. Als Ausstellungsort wird die Galerie getragen von einer Stiftung mit Anteilen des Landes Sachsen, der Stadt Leipzig und eines Fördervereins. Angeschlossen sind ein jedes Jahr neu, zurzeit von der Londoner Künstlerin Céline Condorelli gestaltetes Café sowie zwei eigene Hotelapartments, konzipiert von Jun Yang und Christine Hill („Hotel Volksboutique“): mit Austritt in den parkartigen Garten, den ein grellgrünes Kunststofflabyrinth von Olaf Nicolai ziert.

Die aktuelle Ausstellung mit einem Dutzend Protagonisten der ukrainischen Szene sowie kooperierenden Künstlern aus Deutschland, Österreich, Italien und Skandinavien ist im Zusammenspiel mit der erstmals 2012 in der ukrainischen Hauptstadt veranstalteten Kiew-Biennale entstanden. Es war die Zeit der Fußball- EM und des vermeintlich unaufhaltsamen Aufbruchs gen Westen: in Gesellschaft, Wirtschaft, den Künsten. Eine zweite Folge der Biennale musste 2014 wegen der bürgerkriegsähnlichen Unruhen auf Herbst 2015 verschoben werden. In Kiew sind Künstler dann in unterschiedlichste Stadträume ausgeschwärmt. Sie wollten anknüpfen an die eigene Avantgarde, zu der etwa die Malerin Alexandra Exter und der in Kiew geborene Suprematist Kasimir Malewitsch gehörten, dessen „Schwarzes Quadrat“ vor gerade 100 Jahren entstanden ist.

Nun hat die Bundeskulturstiftung mit ermöglicht, dass die österreichischen Biennale-Kuratoren Hedwig Saxenhuber und Georg Schöllhammer zusammen mit der in Weimar lehrenden Galeriedirektorin Franciska Zólyom eine so spannende Variante der Kiew Biennale in Leipzig präsentieren können. Eine Vor-Schau gab es bereits in Karlsruhe, eine Fortsetzung ist in Wien geplant. „Die Schule von Kyiv“, Galerie für zeitgenössische Kunst Leipzig, nur bis 21.2.

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