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Andreas Koziol (8.1. 1957 - 15.5.2023) 2009 bei einer Gedenklesung in der Literaturwerkstatt Berlin

© imago stock&people

Letterleuchten in der Wortspielhölle: Zum Tod des Berliner Dichters Andreas Koziol

Konsens durch Nonsens: In seiner Poesie versuchte der Mann aus der Prenzlauer-Berg-Szene immer wieder, die Formeln der Herrschaftssprache zu unterlaufen.

Von Peter Geist

Er war einer der bemerkenswertesten deutschen Lyriker. Als Persönlichkeit zeichnete sich Andreas Koziol durch Noblesse, einen gelassen-genauen Blick auf die Mitwelt und hintergründigen Humor aus. Eigenschaften, die ihn prädestiniert erscheinen ließen für konzis hingetuschte Porträts von Dichterkollegen und -kolleginnen als Tierfigurationen, die 1991 unter dem Titel „Bestiarium literaricum“ erschienen. Dass aus diesen Spottlustigkeiten immer wieder gern zitiert wird, spricht für ihre Qualität.

Andreas Koziol, 1957 in Suhl geboren und nun am 16.. Mai nach kurzer schwerer Krankheit gestorben, stieß nach abgebrochenem Theologiestudium Mitte der achtziger Jahre zur inoffiziellen Berliner Literaturszene, gemeinhin als „Prenzlauer-Berg-Connection“ (Adolf Endler) tituliert. Auch hier hielten sich Verbundenheit und reflexionsgestützte Distanz die Waage.

Andreas Koziol im Rückblick: „Die Welt der Sprache als eine Sphäre semantischer Schwingungs- und Kippverhältnisse wurde zum Spiegel neuer Erwartungen und Bewährungsabsichten einer Generation, die bei der Erkundung ihrer Wirklichkeit den dialektischen Zeigestock gegen das Narrenzepter der Herrschaftslosigkeit tauschte. (...) Heute erstaunt mich, dass ich mir vor zwanzig Jahren bei dieser pseudokonspirativen Atmosphäre der Einbrüche und Wortspiele in den Ruinen der gesellschaftlichen Perspektiven den Sinn für Offenheit nicht vollkommen ausgeredet habe.“

Kurzschlüsse des Wortes

Koziols Dichtung ist einerseits exemplarisch für einen gemeinsamen poetologischen Ansatz in dieser Zeit, die entleerten Floskeln der Herrschaftssprache nicht mehr in ihren Erscheinungsformen anzugreifen, sondern ihre Mechanismen spielerisch zu unterlaufen. In einem 1987 geführten Gespräch mit Egmont Hesse fand Koziol dafür die Kurzformel vom „consens durch nonsens“. Andererseits ist seine Poesie ganz und gar unverwechselbar: Er entwickelte und verfeinerte Verfahren wörtlicher Kurzschlüsse und semantischer Irrläufer im Reagierenlassen von ausgelaugten Metaphern, ideologischen Phrasen, umgangssprachlichen Wendungen, die auf ihren unmittelbaren Dingbezug hin entkleidet wurden.

Dadurch, dass in der Lyrik die vertrauten Strukturen (Strophenformen, Reime etc.) und in der Prosa eine narrativ sich gebende Glättungs-Rhetorik geradezu herausgehoben werden, entbehren die Texte nicht komischer bis grotesker Effekte. Als symptomatisches Beispiel sei das Gedicht „nekrolog auf eine anrüchige wegzehr“ aus dem Jahre 1989 angeführt:

„mutterkorn und apfelstich und mohn / raunten uns elysische sibirien / manchmal war die freiheit kein phantom / doch die mauer lyrischer delirien // wanderte im schnee vom kalten krieg / („in der tat ein eigentümlich holz“) / wuchs aus schwarzer rotstiftpolitik / um das ministerium des golds // flüsterpropaganda war berauschend / gevatter staat ist nicht die beste droge / sagtest du das wär nicht dein jahrtausend? / nemo fällt vor staunen von der loge“

Vereinsamte Sprachhülsen

In eleganter Machart entsteht hier in Kettenreaktionen ein „letterleuchten“ (Koziol), dessen Licht um so schärfer auf die vereinsamten Sprachhülsen fällt und die Kluft zwischen Bezeichnungen und Bezeichnungsobjekten umrandet.

Der Wegfall der Ideologiekontexte aus DDR-Erfahrungen nach 1989 schien zunächst der Koziolschen Poetik nichts anhaben zu müssen, da sie die Bedeutungsreste der Macht-Sprache sowieso distanziert als Spiel-Material betrachtete. Vielmehr befand er im Prosatext „Lebenslauf“ 1999, dass nun die „Finsternis nicht mehr so allumfassend anmutete, sondern wieder auf das gebräuchliche Papierformat geschrumpft war.“ Wohl aber öffnete er in Verserzählung und Prosa die poetischen Unternehmen einer stärkeren Beziehungsmöglichkeit auf eigene biografische Erfahrungen.

In der literarischen Legendierung des Herkommens und der gesellschaftlichen Umstände, assistiert von Palimpsest-Figuren der Weltliteratur (so wird der Vergil der Göttlichen Komödie auf dem Höllen-Trip zu `Wörtschill`transformiert), erblickte Koziol fortan eine ausbaufähige Handhabe, von sich erzählen zu können, ohne seinen poetologischen Prinzipien untreu zu werden. Dabei gab er stimmige Psychogramme früher Sozialisation ebenso anheim wie atmosphärisch dichte Einblicke in das als disparat empfundene Innenleben des „Prenzlauer Bergs“.

Es nimmt nicht wunder, dass Koziol seine schwierige Passion für „Wortspielmärchen“ in einer „einäugig bebrüllten Spektakelwelt“ in jüngster Zeit mit Vergeblichkeitsahnungen begleitete: „Meine Lust am reinen Widerspruch steht wie eine Eins vor dem Koma des Wortspiels und erwartet nur noch das Dümmste. Die Früchte der Erkenntnis sind ein apokalyptisches Mus. Stil ist da Überrest.“ Das sitzt. Und ist zu verstehen als Part seines stachelbewehrten Vermächtnisses.

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