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Fataler Trip. Rauchende Chinesen in einer Opiumhöhle (undatiert)

© imago/United Archives/imago stock&people

Maximale Fremdheitserfahrung: Sofia Yablonskas „Reisen durch China“

Die ukrainische Autorin reiste 1933 im Auftrag einer Filmproduktion in den Südosten Chinas und entdeckte eine befremdliche Welt für sich

Von Maximilian Mengeringhaus

Mit offenen Armen wird die junge Ukrainerin in Yunnan nicht empfangen, gleich beim ersten Spaziergang hagelt es Steinwürfe. Schließlich hatten die Einheimischen im wilden Südosten Chinas ihre Erfahrungen mit europäischen Eindringlingen gemacht. Einschüchtern lässt sich Sofia Yablonska, die 1933 im Auftrag einer Filmproduktionsgesellschaft aufbrach, um Land und Leute zu porträtieren, davon aber nicht. Die entdeckerische Neugierde der 1907 bei Lwiw geborenen On-the-Road-Autorin führte sie mit Anfang 20 bereits nach Nordafrika. Stärker noch als die Impressionen aus dem Maghreb ist ihr zweiter großer Reisebericht „China, das Land von Reis und Opium Dokument eines Kulturschocks.

Yablonska „war nach China gekommen, um die Chinesen zu sehen, um ihr Leben, ihre Gewohnheiten, ihre Kunst und ihren Glauben kennenzulernen.“ Was ihre Augen zunächst erblickten, war jedoch nicht mehr als Elend und Brutalität. Ein Bettlerleben zählt nichts und öffentliche Hinrichtungen von Banditen und Sündenböcken, die bloß als räuberische Schurken ausgegeben werden, gehören zum Alltag. Hinzu kommt die ausgemachte Feindschaft allem westlichen Lebensstil gegenüber.

Dieses Misstrauen immerhin hält Yablonska den Spiegel vor, auch sie ist mit einem Koffer voller Vorurteile angereist. Einige Ressentiments muss sie im Laufe der Monate revidieren. Zunächst einmal gibt es den landläufigen „Chinesen“, wie Yablonska ihn sich in stereotypen Negativtönen ausgemalt hatte, in Yunnan gar nicht. Die Bergprovinz ist ein melting pot, wo ethnisch wie kulturell die Nähe des angrenzenden Tibet und auch der südostasiatischen Nachbarländer spürbar ist.

Das traditionell tief verwurzelte Gemisch aus Beharrlichkeit und Fatalismus, mit dem die Menschen laut Yablonska das Schicksal annehmen, nötigt ihr Respekt ab. Den Verklärungen ihres zeittypischen Exotikfimmels ist sie sich dabei nur halb bewusst. In Sachen Agrikultur könnten die Europäer hingegen von China lernen, derart erdverbunden wüssten die Bauern ihren Boden, der auf kleinstem Raum drei Ernten im Jahr abwerfe, zu nutzen.

Ansonsten geht es nicht so viel um Reis, wie der Titel suggeriert. Um Opium, dessen Anbau offiziell untersagt war, schon eher. Ein mit Yablonska bekannter Arzt ist gar der Ansicht, „eher könne man den Chinesen den Reis nehmen, dann bliebe ihnen immer noch das Opium, aber nähme man ihnen das Opium, hätten sie gar nichts mehr…“ Während längerer Streitgespräche mit dem alten Quo über die unüberbrückbaren Gräben zwischen den Zivilisationen greift Yablonska dann auch selbst zur Pfeife.

Ihr ukrainisch-europäisches Selbstverständnis bildet aus heutiger Sicht die vielleicht spannendste, weil widersprüchlichste Facette der Schilderungen. Einerseits beäugt Yablonska das unreflektierte Herrenmenschgehabe der übrigen Weißen durchaus spöttisch, andererseits reagiert sie anklagend auf die entgrenzte Gewalt der Umgebung, die ihr in Europa offenbar undenkbar scheint. Den Ersten Weltkrieg hat Yablonska dabei wohl verdrängt, das ganze Ausmaß des Zweiten konnte sie nicht kommen sehen. Lesenswert sind ihre Einlassungen als aus der Zeit gefallene Alltagsbeobachtungen, furchtlos und keck vorgetragen, durchaus auch mit dem Auge fürs poetische Detail.

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