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Erinnerung im Alltag. Die Stolpersteine in der Oranienstraße erinnern an Else Goldenstein, Walter Lustig, Alfred, Erna und Dieter Hohenstein.

© Thilo Rückeis

Stolpersteine in Berlin: Der Beginn des Erinnerns

Im Jahr 1996 wurden in Kreuzberg die ersten Berliner Stolpersteine verlegt. Schmierereien wie jüngst in Friedenau können das Projekt nicht bremsen.

An die ersten Stolpersteine, die er in Berlin verlegte, kann sich der Kölner Künstler Gunter Demnig noch gut erinnern. Er zementierte sie 1996 in die Bürgersteige vor dreizehn Häusern der Kreuzberger Oranienstraße, in denen einst jüdische Berliner oder Widerstandskämpfer wohnten, die von den Nazis deportiert und ermordet wurden. Inzwischen hat sich seine Idee zum größten dezentralen Erinnerungsprojekt Deutschlands entwickelt. Alleine in Berlin wurden bislang 5000 Stolpersteine verlegt. Doch immer wieder werden Steine von Rechtsextremen beschmiert, zuletzt am Karfreitag in Friedenau. Berlins Stolpersteininitiativen aber machen unbeirrt weiter, so kam über Ostern ein neuer Stein am Haus der Kulturen der Welt hinzu.

An der Oranienstraße 206 ist das frühere Haus der jüdischen Bewohner längst verschwunden. Geblieben ist eine Freifläche. Kahle Bäume, eine bemalte Sitzbank, ein Dönerstand. Der Wintergarten eines asiatischen Restaurants wird von einem Steinbuddha bewacht. Neben ihm sind fünf Stolpersteine eingelassen, die zu den ersten Berlins gehören. Sie erinnern an Else Goldenthal, Walter Lustig, Alfred, Erna und Dieter Hohenstein. Dazu deren Geburtsjahre. Und deren Sterbejahre: viermal 1943, einmal 1945.

Über Else Goldenthal und Walter Lustig ist nicht mehr als ihr Geburts- und Todesdatum bekannt. An Familie Hohenstein erinnert nur eine kleine Geschichte. Sie seien im Jahr 1939 in die Oranienstraße gezogen, zusammen mit Walter Lustig und Else Goldenthal. Alfred Hohenstein arbeitete bis 1939 als Arzt, bevor ihm seine Kassenzulassung genommen wurde. Gemeinsam mit Frau Erna und dem fünfjährigen Sohn Dieter musste er von Neukölln nach Kreuzberg umziehen. In dem dort eingerichteten „Judenhaus“ praktizierte er fortan als Arzt, ausschließlich für jüdische Patienten. In den ersten Märztagen 1943 wurden dann die Bewohner des Hauses nach Auschwitz deportiert und ermordet. Walter Lustig ereilte das gleiche Schicksal im Mai 1945.

Der Künstler Demnig wollte eine Form der Erinnerung schaffen, die den Menschen im Alltag begegnet. Inzwischen sind die Messingplatten für die Bewohner der Oranienstraße 206 angelaufen. Nur wer sich bückt, verneigt, kann die Namen erkennen. Doch inne hält hier kaum jemand. Ein Pärchen schlappt hinter seinem Hund her, der Briefträger ist wie immer in Eile. Stolpersteine – wirklich darüber gestolpert sei er bisher noch nicht, sagt Manuel Weise, der gerade vorbeikommt. „Zumindest nicht körperlich. Ich frage mich aber oft, wer diese Menschen waren.“

Zum 70. Jahrestag des Aufstands im Warschauer Ghetto wird der Opfer der Shoah heute, 19 Uhr, im Jüdischen Gemeindehaus an der Fasanenstraße 79 gedacht.

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