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Tanz-Performance von Sybille Müller im Sophiensaal.

© dpa

Festival in den Berliner Sophiensälen: Tänzerischer Wildwuchs

Wild, bunt und vielfältig kommen die Berliner Tanztage daher – mittlerweile zum 23. Mal in der Hauptstadt. Frei nach dem Motto: Alles geht, erwarten den Zuschauer abwechslungsreiche Performances und internationale Künstler.

Von Sandra Luzina

Wer viel in der Tanzszene unterwegs ist, bekommt manchmal den Eindruck, ganz Berlin sei ein Nachwuchsfestival geworden. Die Studenten des HZT (Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz) organisieren mittlerweile ihre eigenen Festivals, und Tänzer aus aller Welt kommen ohnehin ständig in die Stadt, um sich hier auszuprobieren. Das wirft die Frage auf, welche Funktion die Tanztage Berlin heute noch haben. Das Lowbudget-Festival wurde vor 23 Jahren gegründet, um dem choreografischen Nachwuchs eine Plattform zu bieten. Bald hatte es sich über Berlin hinaus einen Namen gemacht.

Auch ungewöhnliche Konzepte haben hier eine Bühne

Peter Pleyer, der das Festival seit 2007 leitet und sich mit der diesjährigen Ausgabe verabschiedet, hat sich zwar auch die Förderung junger Talente auf die Fahnen geschrieben. Doch er spricht auch gern vom „Wildwuchs“ und „bunter Vielfalt“. In der Tat gilt hier das Motto: Alles geht. Hier kommt jeder schräge Einfall, jedes noch so abstruse Konzept zu seinem Recht. Aber die Tanztage sind eben inzwischen eine Spielwiese unter vielen, und oft gilt: Die Performer auf der Bühne sind so schwer mit sich selbst beschäftigt, dass die Zuschauer sich langweilen.

Blitzlichtgewitter und Tanz-Solos

Langeweile konnte zumindest bei Kareth Schaffer gar nicht erst aufkommen. Ihr Stück „As Easy as 1, 2, 3“ hat gute Chancen auf den Titel „Kürzeste Choreografie 2014“. Gerade mal einen Wimpernschlag lang flammt das Licht auf und zeigt die Performerinnen. Dann zählen Schaffer und Anna Lena Lehr im Dunkeln, bis ein neuer Lichtblitz die Szene erhellt. Das erinnert an ruckelnde Film-Standbilder, aber auch an Paparazzi-Schnappschüsse. Die beiden wirken zuweilen wie ein ertapptes Liebespaar – am Ende liegt die eine wie tot auf dem Boden. Die Geschichte einer fatalen Leidenschaft? Die Amerikanerin hat es schon zu einiger Bekanntheit gebracht: Das Video ihrer Schlammschlacht „Mudwrestling for Meg“ wurde schon 93 000 Mal auf Youtube angeklickt. Von ihr möchte man jedenfalls mehr sehen.

Der aus Burkina Faso stammende Ahmed Soura versteht es, die Zuschauer mit unbändiger Energie anzustecken. In seinem Solo „Au Prêt du Temps“ wird er von dem Posaunisten Johannes Lauer begleitet. Vom Band ein kurzer Monolog, in dem Soura darüber räsoniert, dass die technologiegläubigen Menschen sich der Natur entfremdet haben. Sein geschmeidig-kraftvoller Tanzstil scheint von einem „Zurück zur Natur“ zu künden. Am Ende stellt er sich auf den Kopf, dreht sich kurz und fällt krachend zu Boden. Was soll das sein: ein Breakdancer, der seinen Headspin nicht hinkriegt, oder gar der westliche Mensch, der seine innere Balance verloren hat? Das hat bisher noch niemand anzudeuten gewagt.

Es mangelt nicht an kuriosen Performances

Von Entwurzelung erzählt auch Jorge Rodolfo de Hoyos, und zwar von jungen Künstler-Nomaden. Hoyos hat sich lange in der queeren Szene von San Francisco engagiert. Vor seinem Umzug hat er den 12-Punkte-Plan „How to move to Berlin“ aufgestellt. In „Departing Things“ schnallen sich Hoyos und Asaf Aharonson einen Rucksack um und umkreisen erst mal die Bühne. Dann beginnen Experimente. Zuerst sucht er Strom in Kartoffeln. Dann bilden die vier Performer einen Kreis und klopfen mit den Fingern der rechten Hand dem Nachbarn zur Linken minutenlang auf die Stirn. Immer heftiger rücken die Tänzer sich auf den Leib bei dem Versuch, Energie zu übertragen. Ein Ergebnis ist nicht zu sehen.

So fängt das Publikum bei dieser Reizstrom-Chakren-Gruppentherapie zu kichern an. Queer, öko und esoterisch – Mumpitz hoch drei. Kurios wird es weitergehen. Hana Lee Erdmann möchte eine neue spirituelle Bewegung namens „Divine Love Electric“ gründen. Und Vincent Bozik nennt sein Solo für Orlando Rodriguez „À chacun sa marotte“. Das wäre wohl auch das passende Motto für die kommenden Tage.

Sophiensäle, bis 14.1., www.tanztage.de

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