zum Hauptinhalt
Im Kreise seiner Lieben. Seit 15 Jahren ist Christian Hansen auf der Jagd nach privaten Aufnahmen von Frauen. Foto: Georg Moritz

© Georg Moritz

Kunstprojekt: "Galerie im Turm" stellt Bilder hunderter Frauen aus

Christian Hansen sammelt private Fotos von Frauen. Rund 35 000 hat er zusammengetragen. Jetzt zeigt er 680 Motive in einer Ausstellung und erzählt, wonach er eigentlich gesucht hatte.

Eigentlich hatte Christian Hansen ein unglaublich langweiliges Hobby. Er interessierte sich für Eisenbahnen. Nicht einmal für echte, oder solche, die als Modell im Keller im Kreis fahren. Christian Hansen zog durch Berlin, um Fotos von Zügen zu suchen. Durchstöberte Antiquariate, Flohmärkte, klopfte bei Nachlassverwaltern in ganz Deutschland. Doch statt Zügen fand er Frauen – sie faszinierten ihn mehr.

15 Jahre ist das nun her. 35 000 Bilder von jungen Frauen, alten Frauen, schönen Frauen, nicht so schönen Frauen, Frauen im Urlaub, auf der Arbeit und vor allem im Auto hat Hansen gesammelt. In der „Galerie im Turm“ stellt er die Bilder nun aus. Doch wichtiger als die echten Fotos sind die Bilder, die nicht zu sehen sind. „Die, die im Kopf entstehen“, sagt Hansen.

Mit einem weißen Handschuh an der rechten Hand klebt Hansen ein Foto nach dem anderen an die Wand der Galerie am Frankfurter Tor. Er kennt die abgebildeten Frauen nicht, weder ihre Familien noch ihre Biografien, und doch weiß er zu fast jedem Bild eine Geschichte zu erzählen. „Es sind Schnappschüsse“, sagt Hansen. „Man erahnt die Bewegung, die vor und nach dem Moment, der im Bild eingefangen wurde, stattgefunden haben muss.“ Wie es sich abgespielt hat, ist freilich nicht mehr zu klären.

Die Fotos sind allesamt im letzten Jahrhundert aufgenommen worden. Das älteste stammt wohl von 1913, schätzt Hansen, einige wurden noch in den frühen Neunzigern geschossen. So ist jedes Bild für sich auch immer ein Rätsel. Eine Frau etwa hockt mit einer jungen Ziege auf dem Gelände einer alten Ziegelei. Es ist nicht klar, ob sie das Tier streichelt oder ihm im nächsten Moment den Hals umdreht. Das zufriedene Lächeln in ihrem Gesicht mag auf beides hindeuten. Im nächsten Bild präsentiert sich eine ältere Dame auf einem Ausflugdampfer, im Hintergrund sind die bräunlich schwarzen Umrisse einer Industrieanlage zu erkennen. „In die Lücke dazwischen kommt das Bild des Betrachters.“ So stellt Hansen es sich vor. Platz für Fantasie gibt es genug: 680 Motive seiner Sammlung stellt er nun aus.

Jedes Bild ist einzigartig, sagt der Künstler. Doch der Betrachter wird das Gefühl nicht los, die Bilder schon einmal gesehen zu haben. Im eigenen Familienalbum, auf der Kommode der Oma, in Modemagazinen. So verweben sich die Geschichten der Unbekannten mit eigenen Erinnerungen und erzeugen ein Gefühl der Vertrautheit. „Je unverstellter und offener das Bild ist, desto eher bekommt man einen Zugang dazu“, sagt Hansen und spaziert vorbei an Frauen, die mit Strumpfhosen über den Kopf gezogen herumalbern, solchen, die aus der Badewanne in die Kamera winken und solchen, die nach ein paar Schnäpsen zufrieden am Küchentisch sitzen.

Diese Offenheit, sagt Hansen, sei es auch, die die Bilder so ausdrucksstark machten und weswegen er nicht etwa Bilder von Männern gesammelt habe. Die seien zwar auch interessant, sagt er. Doch ihre Posen, gerade zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als sich auch die Amateurfotografie entwickelte, seien zu stereotyp gewesen. „Männer mussten immer repräsentieren, ihren Besitz, ihre Macht.“ Ein wirklich diverses Männerbild finde sich in der frühen Fotografie nicht in vergleichbarer Vielfalt wie bei den Frauen.

Hansen hat deutlich weniger Bilder von Männern gefunden. Er erklärt es sich so, dass die Fotografen meist Männer waren und natürlich nicht mit auf ihren Bildern posierten. Seine Sammlung präsentiert in auch, wie sich das Bild der Frau in den verschiedenen Phasen des letzten Jahrhunderts gewandelt hat. Vom bloßen Schmuckobjekt, das ein neu erstandenes Auto des Gatten aufwerten sollte, zur selbstbewussten frechen Touristin, berufstätigen Frau und immer wieder auch Mutter.

Die Frau und Mutter spielt gerade in den Familienalben, die Hansen gesammelt hat, eine zentrale Rolle. „Familienalben sind ein generationenübergreifendes Glücksversprechen“, sagt Hansen. Die Frau sei das Symbol der intakten Familie. Das inszenierte Familienglück wird durch die Fotos konserviert – und landet letztlich dann doch auf dem Müll oder dem Flohmarkt.

Doch darüber hinaus erzählt die Ausstellung auch die Geschichte Berlins anhand persönlicher Schicksale, die sich teilweise nur erahnen lassen. So gibt es Schätze zu entdecken, wie jenes Bild junger Frauen, die mit gepackten Koffern vor einem startbereiten Flugzeug am Flughafen Tempelhof posieren. Die Rückseite des Fotos zeigt das Datum: 11. August 1961. Als diese Frauen aus dem Urlaub zurückkamen, war Berlin eine geteilte Stadt, der Mauerbau hatte begonnen. Konnten sie ihre Familien wieder sehen? Niemand weiß es, der Erzählfaden der Bilder ist gerissen, wird von Hansen nur aufgenommen und in einen völlig anderen Kontext geworfen. Zwischen den Urlaubsfotos vor den Pyramiden in Kairo hängt das Bild eines Spaziergang am Rande des französischen Sektors, auf der anderen Seite der Galerie sieht man junge Mädchen, die sich hinter der damaligen Absperrung der Oberbaumbrücke an ihren Handtaschen festhalten.

Inzwischen hat Christian Hansen selbst Frau und Kind. Der Comic-Illustrator zeichnet nicht mehr zum Spaß, er fotografiert. Vielleicht freut sich in ein paar Jahrzehnten jemand über diese Bilder. Ein bisschen hofft Hansen darauf.

Galerie im Turm, Frankfurter Tor 1,

bis 17. Februar Di-So 12-19 Uhr

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false