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Kirgistan: Sehnsucht nach der starken Hand

Kirgistan wählt erstmals frei – doch die Lage ist fragil. Ob sich die großen Parteien nach der Wahl auf eine Regierungskoalition verständigen können, ist mehr als fraglich.

„Wenn die Wahlen nicht ehrlich verlaufen, gibt es Krieg“, sagt Akran Chamidow aus der südkirgisischen Stadt Osch. Der 32-jährige Usbeke sitzt mit seinen Verwandten auf einem kleinen Teppich zwischen den Ruinen ihres Hauses. Es wurde während der ethnischen Unruhen im Juni von Kirgisen zerstört. Nach einer Revolution und ethnischen Unruhen finden in Kirgistan die freiesten Parlamentswahlen statt, die Zentralasien je gesehen hat. Sie könnten aber auch leicht zu einem blutigen Bürgerkrieg und einer geopolitischen Katastrophe führen.

An der Straße, wo Chamidow wohnt, steht kaum ein Stein mehr auf dem anderen. Ausgebrannte Autowracks säumen die staubige Gasse. Die Menschen wohnen zwischen ausgebrannten Mauern in weißen Zelten, die von UN-Helfern verteilt wurden. Vor jeder Einfahrt türmen sich Backsteine und Sandhaufen. Hastig versuchen die Menschen zumindest ein oder zwei Zimmer für ihre großen Sippen zu bauen, um den kalten Winter zu überstehen. „Baut eure Häuser nicht auf, wir brennen sie sowieso wieder ab“, rufen Kirgisen im Vorübergehen. Während der Unruhen im Juni wurden in Osch rund 2000 Häuser und Geschäfte zerstört. Sie gehörten zumeist Usbeken, die bis dahin 40 Prozent der Stadtbevölkerung stellten. Auch die Mehrheit der vermutlich über 1000 Todesopfer waren Usbeken, 120 000 Angehörige der usbekischen Minderheit flüchteten im Juni ins benachbarte Usbekistan. Die Usbeken leben vor allem im Süden, sie stellen rund 15 Prozent der 5,3 Millionen Einwohner Kirgistans.

Chamidow greift nach seinem Löffel. Mit einer schnellen Bewegung sticht er in die große Schüssel mit Reis und Schafsfleisch vor ihm: „Wir brauchen eine starke Hand“, sagt er und fügt hinzu: „Meine Stimme gehört Felix Kulow und seiner Partei Ar-Namys.“ General Kulow ist Kirgise, aber er verspricht, das kleine zentralasiatische Gebirgsland mit eiserner Hand zu regieren. Er will die Verfassung erneut ändern und zu einem Regierungssystem mit einem allmächtigen Präsidenten zurückkehren. Kulow genießt deshalb auch die Unterstützung des Kremls und der russischen Regierungspartei „Einiges Russland“.

Dies wäre allerdings gar nicht im Sinne der aktuellen kirgisischen Führung. Die Koalition aus unterschiedlichen Oppositionsführern hatte im April das korrupte Regime von Kurmanbek Bakijew gestürzt und danach per Referendum eine parlamentarische Verfassung eingeführt. Nach den Wahlen vom Sonntag muss die neue Regierung deshalb von einer Parteienkoalition gebildet werden. Insgesamt 29 Parteien wurden registriert. Jeden Abend finden im Fernsehen Diskussionen mit mehreren Kandidaten statt. Zuschauer können per Telefon und Internet Fragen stellen. Jeder freie öffentliche Raum wird für Wahlwerbung genutzt. Und Rosa Otunbajewa, die Interimspräsidentin Kirgistans, und ihre Übergangsregierung werben für eine freie und faire Abstimmung.

Doch in einem Land, in dem die Hälfte der Menschen in bitterer Armut lebt, bringt die Freiheit auch große Unsicherheiten mit sich. Nicht nur die Beziehung zwischen Kirgisen und Usbeken ist angespannt. Es gibt auch bittere Kämpfe zwischen den kirgisischen Clans. Die Revolution im April brachte zwar mehr Demokratie. Aber gerade sie könnte dem alten Regime zu einem Comeback verhelfen. Bakijew lebt heute zwar im Exil in Weißrussland. Seine früheren Mitstreiter haben sich in der Partei Ata-Schurt aber neu organisiert und dürften vor allem im Süden viele Stimmen erhalten.

Wie leicht die Lage eskalieren kann, zeigte sich am vergangenen Mittwoch. Ein Mob von 200 Leuten zerstörte in der Hauptstadt Bischkek das Parteibüro von Ata-Schurt. Kurz zuvor war ein Video veröffentlicht worden, in dem ein Mann, der Ata-Schurt-Führer Kamtschibek Taschijew glich, versprach: „Nur wir können Kurmanbek Bakijew ins Land zurückholen.“

Ob sich die großen Parteien nach der Wahl auf eine Regierungskoalition verständigen können, ist mehr als fraglich. Die Konfliktforscherin Raja Kadyrowa hält einen Bürgerkrieg zwischen dem Norden und dem Süden für eine sehr reale Gefahr. Dies hätte auch geopolitische Folgen. Denn der Stützpunkt in Kirgistan ist für die US-Truppen in Afghanistan ein wichtiger Versorgungsknoten. In ihrem Land habe sich eine „Kultur der Gewalt“ entwickelt, erklärt Kadyrowa und fügt hinzu: „Betrug, Diebstahl und Korruption sind für die Menschen zur Norm geworden.“ Gleich nach dem Zerfall der Sowjetunion vor 20 Jahren hätten die Bürger nicht verstanden, dass sie ihre Politiker kontrollieren müssen. „Nun, da wir uns dessen bewusst sind, ist es schon fast zu spät“, sagt die 53-jährige Chefin der Internationalen Stiftung für Toleranz. Vor allem im Süden seien die Menschen der Unordnung überdrüssig: „Immer mehr Leute sagen, wir wollen Stalin zurück.“

Christian Weisflog[Osch]

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