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Afghanische Medien: Auf Sendung am Hindukusch

Mit EU-Hilfe wird der afghanische Rundfunk reformiert. Die Deutsche Welle gehört zu den Unterstützern

Im roten Plastikeimer schwappt es gelblich-weiß. Ein paar Fliegen schwirren durchs Bild, besonders appetitlich sieht das hier alles nicht aus. Doch gleich wird daraus Qulfi, das ist die afghanische Version von Eis am Stiel. Jedes Kind in Kabul kennt Qulfi. Die Straßenhändler verkaufen es überall in der Stadt. Doch wie wird aus der Brühe im Eimer eigentlich Eis hergestellt? In Deutschland ist das eine Frage für die „Sendung mit der Maus“. In Afghanistan heißt die Sendung „De nen Mashum“, was übersetzt „ Das Kind von heute“ bedeutet. Der Beitrag über Qulfi ist Teil eines afghanisch-deutschen Pilotprojektes, das neue Maßstäbe fürs Kinderfernsehen setzen soll.

Florian Weigand ist Projektmanager der Deutschen-Welle-Akademie. Gerade erst hat er eine Fortbildung in Pakistan beendet, und bevor er über die Medienlandschaft in Afghanistan erzählt, räumt er in seinem Büro schweres Gepäck zur Seite – die kugelsicheren Westen. „Für unsere Arbeit in Kabul sind sie Pflicht“, sagt Weigand. Auch wer Bildungsfernsehen in Afghanistan machen will, geht schon ein Risiko ein.

„Wissen macht Spaß! – Kinderfernsehen für die paschtunischen Gebiete“ heißt das Programm, mit dem die Deutsche Welle seit diesem Jahr den Aufbau der Medien unterstützt. Etwa ein Dutzend Journalisten lokaler Privatsender erarbeiten zusammen mit den Journalisten der Deutschen Welle Formate für Kinder, die dann bald auf Sendung gehen sollen. Fernsehen für die Bildung. In Afghanistan, wo fast siebzig Prozent der Jungen und achtzig Prozent der Mädchen nicht lesen und schreiben können, ist das kein Widerspruch. „Wir können mit dem Programm natürlich nicht den Schulunterricht ersetzen. Aber zumindest ein Fenster öffnen zur Welt“, sagt Weigand.

Die Entwicklung der Medien in Afghanistan ist eine Erfolgsgeschichte, wenn auch eine bescheidene. Unter den Taliban waren Funk und Fernsehen so gut wie nicht existent. Bilder waren verboten, deshalb wurde der staatliche Fernsehsender geschlossen. Das Programm der einzigen Radiostation, „Radio Sharia“, bestand aus Predigten, Reden und sakralen Gesängen. Wie groß der Nachholbedarf war, zeigte sich bald nach den ersten freien Wahlen: 300 Zeitungen, über 50 Radiostationen und 5 Fernsehsender entstanden bis 2005. „Das war erstaunlich und diese Medienvielfalt ließ hoffen“, erinnert sich Eberhard Sucker, der drei Jahre für die Deutsche Welle in Afghanistan arbeitete.

Aus dem Ausland kamen bald nicht nur Korrespondenten, sondern auch Unterstützung beim Aufbau der landeseigenen Medien. Der staatliche Rundfunk- und Fernsehsender (National Radio Television Afghanistan, RTA) sollte mit Hilfe der EU-Kommission reformiert werden. Ein öffentlich-rechtlicher Sender nach europäischem Vorbild war die Vision. Die Deutsche Welle, BBC und Canal France arbeiteten dafür gemeinsam an einer Machbarkeitsanalyse. Schon das war nicht einfach, denn es gab keine verlässlichen Angaben zu Budget, Mitarbeiterzahlen oder Programmgestaltung. Eine ernüchternde Erfahrung für die beteiligten Sender: „Uns wurde da erst klar, was das für eine riesige Aufgabe sein wird, und wie groß dieser Sender überhaupt ist“, sagt Eberhard Sucker. Etwa 3000 Mitarbeiter hat RTA heute, fast so viele wie der Bayerische Rundfunk. Produziert werden täglich jedoch nur etwa eine Stunde Fernsehen und vier Stunden Radio – gemessen am Mitarbeiteranteil ist RTA damit das Gegenteil einer schlanken Anstalt. „Trotzdem ist RTA wichtig“, ist Florian Weigand überzeugt. Denn kein anderer Sender übersetzt sein Programm in mehr Minderheitssprachen – neben Dari und Paschtu werden Sendungen auch in Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pasha'i oder Nuristani übertragen. Kein anderes Programm ist landesweit zu empfangen. Ein Vorteil, den auch Afghanistans Regierung kennt. Und ein Grund, warum unabhängige Medien auch nicht unbedingt als wichtiges politisches Ziel gelten.

Während die Reform des Staatsfernsehens stockt, boomen die privaten: 90 Radioanbieter und 20 TV-Stationen gibt es. Besonders beliebt sind Unterhaltungssendungen: orientalische Hitparaden, indische Daily Soaps, aber auch afghanische Folklore. Westliche Show-Formate, auf das afghanische Publikum angepasst, brechen alle Zuschauerrekorde. Etwa zwölf Millionen Zuschauer haben „Afghan Star“, das afghanische Pendant zu „Deutschland sucht den Superstar“ verfolgt. „Einen Fernseher gibt es in fast jedem Dorf, vor dem sich dann alle versammeln. Public Viewing ist in Afghanistan ganz normal“, erzählt Eberhard Sucker. Ein Drittel der afghanischen Bevölkerung konnte dort auch eine kleine Kulturrevolution verfolgen: Unter den Teilnehmern war eine Frau. Sie sang nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern trat auch unverschleiert auf.

Reporter ohne Grenzen sieht Afghanistan bei der Pressefreiheit auf Platz 149 – vor Pakistan, Usbekistan oder Russland. „Im Vergleich zur Situation in anderen Ländern der Region sind die afghanischen Medien liberal“, sagt Merjam Wakili. Die Journalistin ist in Kabul geboren, in Deutschland aufgewachsen und promoviert nun an der TU Dortmund über das afghanische Mediensystem. Im Rahmen des Fortbildungsprogramms der Deutschen Welle war auch sie als Trainerin bei dem paschtunischen Sender Shamshad TV. Was die Entwicklung der Medien in Afghanistan angeht, so ist sie optimistisch: „Im Fernsehen und im Radio ist viel Kritik möglich, auch der investigative Journalismus entwickelt sich.“

Tatsächlich gilt der große private Sender Tolo TV als besonders recherchestark, und berichtete im Vorfeld der letzten Wahlen intensiv über Betrug, Bestechung und Klüngelei der Regierung Karsai. Das nötigt auch europäischen Journalisten Respekt ab. Dem „New Yorker“ sagte BBC-Generaldirektor Mark Thompson, dass die journalistische Arbeit der Tolo-TV-Redakteure die BBC „einfach weggeblasen“ hätte.

Doch die Verquickung von politischen und wirtschaftlichen Interessen der privaten Sender ist nicht unproblematisch. Der Chef von Tolo TV, Saad Mohseni, gilt als Afghanistans Rupert Murdoch. Mit seiner „Mobi Capital Group“ hat er sich ein einflussreiches Medienimperium aufgebaut, das der Regierung Karsai ein Dorn im Auge ist. Der private Sender Emrooz wurde gerade von der Regierung geschlossen. Ein unabhängiger Sender in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft könnte sich leichter gegen den Vorwurf der Parteilichkeit wehren. Doch ob sich der Staatssender RTA wirklich in einen Sender nach europäischem Vorbild reformieren lässt, daran hat Eberhard Sucker mittlerweile seine Zweifel: „Im Moment sieht es nicht so aus, als hätte irgendjemand in der Politik Interesse daran.“

Die Pläne der EU liegen also auf Eis, und die Deutsche Welle arbeitet vor allem mit privaten Sendern zusammen. Dass die Idee eines unabhängigen afghanischen Rundfunks gestorben ist, daran will Florian Weigand nicht glauben. Je nachdem, wie sich die politische Landschaft entwickle, könnte das Projekt wieder an Fahrt gewinnen: „In Afghanistan ist so ziemlich alles möglich.“

Julia Kimmerle

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