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Medien: An den Grenzen

Im „Polizeiruf 110: Jenseits“ verzweifelt eine Mutter am Tod ihres Sohnes

Ganz langsam nähert sie sich. Die Polizeiabsperrungen halten auch die anderen Neugierigen aus der Siedlung nicht wirklich ab. Sie pirscht sich an die Unfallstelle heran. Eine Frau, Nina Hausner (Ulrike Krumbiegel) heißt sie, und sie ist Mutter. Ihr Sohn Tim, von ihr stets Timmy gerufen, ist bisher nicht nach Hause gekommen. Dabei ist es schon nach halb zwei. In der Schule hat sie angerufen, auch bei der Nachbarin geklingelt. Als sie unweit von ihrem Wohnkomplex draußen, dort, wo Feld und Wald beginnen, die Polizeiautos sieht, da treibt es sie intuitiv dorthin. Der Leichnam eines Jungen liegt verdeckt unter einer Plane. Als er abtransportiert wird und ein roter Schuh im Gras zurückbleibt, stürzt sich Nina Hausner zum Leichenwagen. Doch der Weg wird ihr versperrt. Eine Grenze, die sie nicht überschreiten darf.

Aber vielleicht ist es ja gar nicht ihr Sohn Timmy. Quälend lang ist die Zeit, bis die Mutter Gewissheit hat. Sie sieht Hauptkommissar Jürgen Tauber (Edgar Selge) hinter einer verschlossenen Glastür der Gerichtsmedizin mit einem Beweisstück, Timmys Holzspielmesser. Der Blick von Ulrike Krumbiegel auf das Messer ist schockierend durchdringlich. Durch den Türcode kann Tauber es der Frau nicht einmal selbst sagen, da steht etwas zwischen ihnen, sie können sich nicht erreichen. Grenzen trennen sie.

„Ich bin immer der, der die Todesnachricht überbringt“, meint Tauber, abends, halb angetrunken, außer Dienst, zu einer Putzfrau, die die Gänge des Kommissariats entlangwienert. „Für jeden Scheiß gibt’s ’ne Fortbildung, aber wie sagt man denn einer Mutter, dass ihr kleiner Junge nicht mehr nach Hause kommt?! Das bringt dir keiner bei.“ Und setzt die Flasche wieder an. Ein Kommissar, der überfordert ist. Der die Grenzen seines Jobs zu spüren bekommt, der damit, was zu tun ist, nicht umgehen kann. Edgar Selge, für seine Rolle des einarmigen Tauber ohnehin schon mit Deutschem Fernsehpreis und Grimme-Preis mehrfach ausgezeichnet, zeigt bezwingend die zynische Traurigkeit, die seinen Tauber angesichts dieses hochemotionalen Falls überkommt.

Dem 14. Fall von Tauber und seiner Kollegin Jo Obermaier (Michaela May) liegt das Drehbuch von Markus Thebe („Unter Verdacht“) zugrunde, das Regisseur Eoin Moore („Pigs Will Fly“) verfilmt hat. Das Buch brilliert mit wasserdichten Dialogen, die Regie mit einer behutsam-umsichtigen Inszenierung. Alles keine Selbstverständlichkeiten. Der Münchner „Polizeiruf 110: Jenseits“ ist ein Film über Grenzen, mit denen die Menschen unentwegt konfrontiert werden. Grenzen, deren Übertreten entweder mitschuldig macht oder aber befreiend wirkt. Früh schon stellt sich heraus, dass Timmy erst von einem Auto überfahren wurde, als er schon tot war. Die verzweifelte Mutter, sie will unbedingt zu ihrem Kind, „ich muss ihn noch mal im Arm halten“. Lange wird ihr das verweigert, da die Rechtsmediziner wieder und wieder die Freigabe des Leichnams mit Obduktionen und anderen Maßnahmen hinauszögern. Selbst Tauber platzt beim dozierenden Professor der Kragen, kommt er doch mit dem Schmerz der Mutter nicht klar. Bis Nina Hausner im Institut völlig durchdreht. Am Ende, da entwendet sie kurzerhand den Leichenwagen mit ihrem Sohn und hält irgendwo im Grünen, auf einer Anhöhe, dahinter ist die Stadt zu sehen. Da sitzt die Mutter mit ihrem toten Sohn im Gras. Es kommt einem Madonnenbild nahe. Mal ist die Kamera ganz nah, man sieht den toten Jungen, mal umkreist sie die Szenerie, und Tauber ist am Horizont zu sehen, wie er sich langsam nähert. Auch hier stößt man an Grenzen. Moralisch wie filmisch. Aber sie werden nicht überschritten. Nähe und Distanz werden gleichermaßen gewahrt. Darin liegt die Nachhaltigkeit dieses Films.

„Polizeiruf 110: Jenseits“, 20 Uhr 15, ARD

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