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Medien: Ballungsraumfernsehen: Anders als die Anderen

So sieht also einer aus, der dem Ballungsraumfernsehen aus der Krise helfen soll: Max von Thun hat als Markenzeichen eine Gitarre in der Hand und eine schwarze Strickmütze auf dem Kopf. Immer dienstags, donnerstags und samstags um 21 Uhr veranstaltet der 23-jährige ehemalige MTV-Moderator eine Aufnahmeprüfung für seinen imaginären "ClubMax".

So sieht also einer aus, der dem Ballungsraumfernsehen aus der Krise helfen soll: Max von Thun hat als Markenzeichen eine Gitarre in der Hand und eine schwarze Strickmütze auf dem Kopf. Immer dienstags, donnerstags und samstags um 21 Uhr veranstaltet der 23-jährige ehemalige MTV-Moderator eine Aufnahmeprüfung für seinen imaginären "ClubMax". 60 Minuten lang spielt er mit mehr oder weniger prominenten Gästen Gummi-Twist, lässt sie singen oder singt zur Abwechslung mal selbst. Und sieht dabei so jung und szenig aus, wie sich die Kirch-Gruppe das Publikum für ihr Ballungsraumfernsehen wünscht.

"Neues Fernsehen" - das versprechen riesige Banner, die in Berlin, Hamburg und München für Sun-TV werben, das neue gemeinsame Abendprogramm der drei Metropolen-Sender TV.Berlin, TV.München und Hamburg 1. Dafür hat die Kirch-Gruppe 15 neue Shows und Magazine eingekauft und ein paar prominente Gesichter gleich dazu: die Spaßmacher Wigald Boning und Hella von Sinnen machen mit. Und auch die Ex-Nachmittags-Talkerin Sabrina Staubitz hat eine eigene Show. Produziert wird die Ware im süddeutschen Pullach von der Entertainment Factory ("Bullyparade") zu einem extrem günstigen Minutenpreis, den man den Sendungen ansieht. Unkonventionell und interaktiv wollen sie sein und sehen dabei zum Teil bizarr aus: Die Wassernixe der Woche räkelt sich im Badeanzug in einem Aquarium, die Hilfskamerafrau hüpft im rosa Balletröckchen mit einer Digitalkamera durchs Bild. Fred Kogel, Geschäftsführer der KirchMedia, sieht die neuen Formate als "Sprungbrett für Talente".

Dass die Uralt-Serien wie "Bonanza" abgesetzt wurden, war überfällig. Sie hatten zwar Zuschauer, aber nicht die richtigen, und steckten damit in der gleichen Klemme wie die regionalen Eigenproduktionen: Das Publikum ist zu alt und damit uninteressant für die Werbekunden. Es will einfach nicht funken zwischen dem Stadtfernsehen und der werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen, von der TV.Berlin-Chef Georg Gafron sagt, sie sei "sehr agil und sehr reizorientiert", sprich: sehr schwer zu fassen. Oft haben die Stadtfernsehsender in der Vergangenheit ihr Konzept geändert, aber funktioniert hat es nicht. Fast die Hälfte der Zuschauer von TV.Berlin sind älter als 50 Jahre. Mit Sun-TV bekomme TV.Berlin jetzt die Chance, sein "Outfit zu verjüngen", sagt Gafron: "Ein Einbruch in jüngere Zielgruppen steht bevor." Es soll also mal wieder alles anders werden, nur kosten darf es möglichst nichts. Für ein Stadtfernsehen gebe es nur eine einzige Möglichkeit, am Abend zu bestehen, sagt Fred Kogel. Wenn die großen Sender mit ihren teuren Programmen ab 20 Uhr um die Prime-Time-Zuschauer kämpften, dann müsse man etwas bieten, das "anders ist als alles andere und dabei extrem kostengünstig." Sun-TV, das angeblich sogar billiger ist als die alten Serien.

Seit einer Woche wird das Unterhaltungsprogramm jeden Abend ab 21 Uhr ausgestrahlt. Mit dem Regionalprogramm hat es nichts zu tun, es wirkt wie ein Sender im Sender. Das dreistündige Programm wird in Pullach samt Trailern, Gewinnspielen und Verweisen auf die Sun-TV-Internetplattform zusammengefahren. Die Menschen, die in kleinen Umfragen zu Wort kommen, sind zwar Leute von der Straße - aber die Straße ist nicht zwangsläufig die der eigenen Metropole. Dafür musste bei TV.Berlin die 22 Uhr-Ausgabe der Nachrichtensendung "Berlin Jetzt" weichen, mit der Gafron bislang der Spätausgabe der "Abendschau" vom öffentlich-rechtlichen SFB Konkurrenz machen wollte. "Das sind doch bloß fünf Minuten", wischt Gafron den Einwand vom Tisch.

Ohnehin steht dem Regionalprogramm eine umfassende Reform bevor. Nur massive Kostensenkungen können das Überleben des chronisch defizitären Ballungsraumfernsehen sichern. Deshalb plant die Kirch-Gruppe im Herbst weitere Umstrukturierungen. Dabei geht es vor allem um die lokalen "Kernzeiten" von sechs bis neun Uhr früh und von 16 bis 21 Uhr. Diese Zeiten würden "so lokal wie nur möglich" gestaltet, sagt Kogel, mit Nachrichten im Halbstundentakt. Das Regionalprogramm soll dabei den gleichen Spagat machen wie die Abendunterhaltung: Es soll besser werden, um beim Publikum anzukommen, und gleichzeitig wesentlich billiger, damit es sich rechnet. Es klingt aber nicht sehr einleuchtend, dass sich die Akzeptanz beim Publikum steigern lässt, wenn gleichzeitig in der Produktion gespart wird und Kameraleute vermehrt ihre Berichte selbst schneiden und vertonen. Die Kirch-Gruppe will es trotzdem ausprobieren, denn, so Kogel: "Die gängigen Fernsehmechanismen funtionieren nicht beim Stadtfernsehen."

Manchmal gerät das Zusammenspiel zwischen Sun-TV und dem Regionalprogramm in extreme Schräglage. Zum Beispiel, wenn Hella von Sinnen, Hugo Egon Balder, Wigald Boning und ein wechselnder Gast in der Sendung "TV-Quartett" über Fernseh-Sendungen lästern, "deren Outfit zum Abschalten animiert". Da sagt Hella von Sinnen zum Beispiel über den "RTL-Shop" mit Harry Wijnvoord, die Kulisse sehe so billig aus, als wäre sie aus der "Bäckerblume" ausgeschnitten. Das wirkt angesichts der eigenen Sparpläne unfreiwillig komisch.

Annika Ulrich

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