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Superstar

© ddp

Casting-Show: Jahrmarkt der Peinlichkeiten

Reihenweise lassen sich Möchtegern-Stars von der "Deutschland sucht den Superstar"-Jury beschimpfen. Doch warum blamieren sich so viele Kandidaten freiwillig im Fernsehen?

Menderes Bagci hat einen Traum. Der 23-Jährige möchte nicht nur berühmt sein, er will ein Superstar werden. Zum fünften Mal steht er vor der Jury der RTL-Castingshow „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS). Die Haare zu Zöpfchen geflochten, die Augen mit Kajal umrandet, so wie sein Idol Michael Jackson. Als Bagci anfängt zu singen, ist sofort klar, dass es auch diesmal nichts wird – er kann einfach nicht singen. Jury-Mitglied Dieter Bohlen schimpft ihn einen Eunuchen und erteilt ihm Auftrittsverbot. Bagci weint, der Zuschauer leidet mit, er ahnt, Bagci wird es wieder versuchen, er wird sich wieder blamieren – wie so viele andere Kandidaten der Show, die vor einer Woche in die fünfte Runde ging.

Die „DSDS“-Casting-Sendungen sind ein Ringelreihen der Peinlichkeiten. Sie zeigen, wie es aussieht, wenn Menschen sich bloßstellen. Kandidaten quietschen in schrägem Englisch „Ei belief ei kän flei“, sie treten in rosa Trainingsanzügen, Mönchskutten, mit Schwimmflügeln oder gleich mit Mutti im Schlepptau an. Der Zuschauer sieht Heul- und Lachkrämpfe, Hyperventilation und Hysterie, und mag oft gar nicht hinsehen, so sehr schämt er sich fremd. Den Kandidaten scheint nichts peinlich zu sein. Manche von ihnen wissen, dass sie nicht singen können, und machen nur mit, weil sie vielleicht eine Wette verloren haben oder Bohlen vorsingen wollen: „Der Dieter hat nen kleinen Sch...“, um dann wieder nach Hause zu gehen. Aber es gibt auch die Teilnehmer, die scheinbar wirklich daran glauben, Singen oder Tanzen zu können, und so naiv vor die Kameras treten, als wären sie im eigenen Wohnzimmer. Bei diesen Kandidaten fragt man sich, ob sie überhaupt in der Lage sind, sich selbst zu reflektieren. „Einige merken nicht, wie ihr Verhalten nach außen wirkt, sie können sich nicht richtig selbst einschätzen, ihnen fehlt die soziale Intelligenz dazu“, sagt Hanko Bommert, Medienpyschologe und Autor. Jury-Mitglied „Bär“ Läsker hat dafür wenig Mitleid: „Wenn man untalentiert ist, aussieht wie ein Ferengi aus Star Trek und sich zum Affen macht, dann macht man sich eben zum Affen.“

Das Zum-Affen-Machen geschieht allerdings vor großem Publikum, die Sendung am Samstag verfolgten mehr als sechs Millionen Zuschauer, was 33,2 Prozent Marktanteil in der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen entspricht.

Nach ihren talentfreien Auftritten werden Teilnehmer erst von der Jury als „Vollschwuchtel“, „Wildschwein“ oder „Katastrophe“ bezeichnet, anschließend in unzähligen Internetforen verspottet oder von der Boulevardpresse als „Liebes-Mädchen“ geoutet. Warum Menschen vor solchen Peinlichkeiten nicht zurückschrecken, erklärt WDR-Moderator Jürgen Domian: „Die Sehnsucht, nach oben zu kommen, sich von der Masse abzuheben, ein Star zu sein, ist tief im Menschen verwurzelt. Das hat eine Zaubersogwirkung.“ Viele Teilnehmer seien sich gar nicht bewusst, wie sie medial ausgeschlachtet würden. „Die Verantwortung dafür liegt bei den Machern solcher Sendungen“, sagt Domian.

RTL-Sprecherin Anke Eickmeyer verweist auf die Eigenverantwortung der Kandidaten: „Sicher können wir in vielen Fällen eine große Selbstüberschätzung beobachten, aber wir gehen von der Mündigkeit der Teilnehmer aus.“ Die meisten Kandidaten würden sogar ein positives Feedback bekommen. „Menderes ist mittlerweile ein Kultstar, er wird für Auftritte gebucht und hat zahlreiche Interview-Anfragen“, so die RTL-Sprecherin. Warum raten Familienmitglieder oder Freunde den Star-Träumern nicht davon ab, ihre Unfähigkeit öffentlich zur Schau zu stellen? „Oft sehen Familienangehörige nur, dass ihr Kind im Fernsehen auftritt, das wird grundsätzlich als attraktiv eingeschätzt. Dabei werden dann auch die möglichen Verletzungen verdrängt, die aus einem blamablen Auftritt resultieren können“, sagt Medienpsychologe Bommert. Nach den peinlichen Auftritten ist für die Betroffenen nichts mehr zu korrigieren. Bei vielen Kandidaten mag man sich nicht vorstellen, wie Klassenkameraden oder Arbeitskollegen auf die Blamage reagieren.

„RTL kann keine Verantwortung für gesellschaftliches Fehlverhalten übernehmen“, sagt Sprecherin Eickmeyer. Allerdings findet eine Vorauswahl der 30 000 Kandidaten statt, die Jury bekommt einen repräsentativen Durchschnitt zu sehen. Hier könnte RTL steuern, wer gezeigt wird und wer nicht. Aber mit dem Prinzip des Peinlichkeitsexhibitionismus hat der Sender Erfolg – in jedem Zuschauer steckt eben auch ein Stück schadenfroher Voyeur.

„DSDS“, RTL, 20 Uhr 15

Yoko Rückerl

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