zum Hauptinhalt

Medien: „Das hatte ich nicht erwartet“

ARD-Nahost-Korrespondentin Golineh Atai über den Krieg im Fernsehen

Als Sie im Mai 2006 den Job im ARD-Studio Kairo aufnahmen, haben Sie da geahnt, was da für ein Konflikt in allerkürzester Zeit auf sie zukommt?

Ich arbeite seit einiger Zeit in der Region und habe immer gedacht, dass es schlimmer werden wird. Vielleicht nicht gerade in dieser Region, im Südlibanon. Ich befürchtete eher Terroranschläge und dass sich unsere Berichterstattung darauf konzentriert. Einen derartigen Territorialkonflikt hatte ich nicht erwartet.

Sie sagen Terroranschläge. Haben Sie da keine Angst?

Mir hilft das immer in der Arbeit, wenn ich mir die Bilder anschaue und über die Bilder sozusagen meine Gefühle verarbeite. Wahrscheinlich kommt das emotionale Verdauen später. In den letzten zwei Jahren war ich auch keine klassische Krisenreporterin, wenn Sie darauf anspielen. Das Anstrengendste bisher war, als ich das zweite Mal in den Sudan geflogen bin und gesehen habe, wie die Menschen da unten leiden, dazu die Ohnmacht der UN.

Sie sind 31 und schildern den aktuellen Konflikt abends in den „Tagesthemen“-Schalten unheimlich sachlich, abgeklärt.

Das ist mir nicht bewusst. Ich versuche, so natürlich wie möglich zu sein. Vielleicht hängt das mit meiner persönlichen Geschichte zusammen – in Deutschland hatte ich in der Schule, im Büro, immer die Rolle der „Erklärenden“, wenn es um den Islam geht, oder um ein von außen etwas unheimlich wirkendes Land wie den Iran. Ich bemühe mich, Stereotype zu vermeiden, die sich im Westen gegenüber dem islamischen Kulturraum gebildet haben. Ich vergegenwärtige mir jeden Tag, dass die Menschen hier unter Diktatur und Polizeistaat leiden, versuche, mich in alle Seiten hineinzuversetzen, weil die Verhältnisse im arabischen Raum wahnsinnig kompliziert sind.

Mit fünf Jahren sind Sie aus dem Iran nach Deutschland. Inwiefern hilft Ihnen Ihr Migrationshintergrund bei der Arbeit?

Manche sagen ja, eigentlich sollte jemand, der ein bisschen betroffen ist, gar nicht in der Region arbeiten (lacht). In meinem Elternhaus wird viel über den Iran gesprochen. Oder den Islam. Ich wuchs auf mit iranischen Zeitungen, „Voice of America“ und „Radio Israel“, ein exzellenter Dienst auf Persisch, von iranischen Juden in Israel. Ich habe immer wieder das Gefühl, dass ich auf bekannte Situationen stoße, wo ich denke, hoppla, das kenn ich. Das hilft mir, die Kultur zu verstehen, nicht, sagen wir, ungeduldig deutsch aufzutreten und in der ersten Sekunde alles durchsetzen zu wollen. Was mich immer schon bewegt hat, das begleitet mich weiter. Manchmal ist es eine Belastung, weil man denkt: Jetzt bist du schon wieder in dem Strudel.

Menschen vertrauen Ihnen doch sicher mehr an, weil Sie aus der Region stammen.

Die arabische Straße jubelt natürlich, wenn der Name Ahmadinedschads, des iranischen Präsidenten, fällt. Ich sehe nicht wie eine Deutsche aus, auf den ersten Blick. Wenn die Leute hören, dass ich aus dem Iran komme, sagen sie: „Superland, klassisches Widerstandsland, wir sind stolz auf euch!“ Oder: „Was? Die Deutschen schicken eine Muslima hierher?“ Ich weiß dann immer gar nicht so recht, wie ich reagieren soll. Es hilft natürlich, ein Vertrauen bei der Recherche zu schaffen.

Nur drei Prozent der Journalisten in Deutschland haben Migrationshintergrund. Wäre es angesichts der Verhältnisse im Nahen Osten nicht wünschenswert, wenn es mehr – Golineh Atais gäbe? Haben deutsche Medien zu wenig Interesse, Migranten einzustellen?

Bei BBC und CNN ist es selbstverständlich, dass man solche Leute in solche Länder schickt. Ich würde mir wünschen, dass wir für Deutschland auch so ein buntes BBC-World-Fernsehen hätten, mit Leuten, die in unterschiedlichen Kulturen groß geworden sind und vielleicht deswegen besser Konflikte begreifen können. Nach mir sind beim SWR Volontäre mit türkischem Hintergrund reingekommen. Es tut sich ein bisschen was.

Vielleicht sollte man gar nicht mehr darüber reden, wo jemand herkommt.

Das Schlagwort „exotisch“ hat mich immer aufgeregt. CNN-Chefreporterin Christiane Amanpour ist eine iranische Engländerin oder englische Iranerin, aufgewachsen in Teheran. Da sagt niemand in den USA: Die sieht exotisch aus. Der wahre Fortschritt in Deutschland wäre, wenn jemand mit schwarzem Haar und schwarzen Augen aus dem Bundestag berichten würde.

Das Gespräch führte

Markus Ehrenberg

Golineh Atai , 1974 in Teheran geboren, kam mit fünf Jahren nach Deutschland, studierte u.a. Islamistik. Berichtet als Korrespondentin im ARD-Studio Kairo über Israels Zweifrontenkrieg.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false