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Medien: Das ist der Gipfel I

Heiligendamm und die G-8-Konferenz: Der Kampf um die Bilder hat begonnen

Von Caroline Fetscher

Kleine Quizfrage. „Der wohlhabende Teil, der von der Globalisierung profitiert, hat die Pflicht, sich um die Benachteiligten zu kümmern“ – wer traf diese Aussage zum G-8-Gipfel? Claudia Roth oder Oskar Lafontaine, Greenpeace-Boss Gerd Leipold oder eine Protestlerin von Attac? Weit gefehlt. Den Satz sprach neulich Innenminister Wolfgang Schäuble, der guten Mutes hinzugefügt hatte: „Mein Freund Heiner Geißler kann sehr viel Sachverstand in Attac einbringen.“

Gegeben wird „G 8 in Heiligendamm“ vom 6. bis 8. Juni an der Ostsee. Wer in dieser medialen Inszenierung, deren Länge Peter Steins „Wallenstein“ übertrifft, welche Rolle spielt und gegen wen, wie antritt, darum wird im Vorfeld heftig gerungen. Treffen sollen sich, in einem Sperrbezirk des Ostseebades, die Staatschefs der acht einflussreichsten Industrieländer. Rings um das durch eilig hochgezogene Mauern und Stacheldraht bewehrte Gelände planen die „Gipfelgegner“ getauften Gruppen ihre Aktionen: Attac, Netzwerk Videoaktivismus, Gipfelsoli, Indymedia, Interventionistische Linke, Greenpeace, Netzwerk Friedenskooperative, Welthandelskampagne „Gerechtigkeit jetzt!“, Erlassjahr-Kampagne, Move against G 8, Oxfam, BUND, IG Metall, Pro Asyl, Misereor, der Evangelische Entwicklungsdienst, Verdi, Brot für die Welt, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Und viele mehr.

Bei den G-8-Bossen soll es um nichts mehr und nichts weniger gehen als um „globalen Aufschwung“ mit mehr Transparenz bei Hedgefonds, Kampf gegen Produktfälschung, Abbau protektionistischer Hindernisse, um die sozialere Gestaltung der Globalisierung, offene Märkte plus sozialer Teilhabe, um den Klimaschutz nach Kyoto, Fortschritt für Afrika – Stoff für etwa Hunderttausend wissenschaftliche Studien.

Aber auf die Bilder wird es ankommen bei diesem „high visibility event“ von Weltklasse. So sieben die Gipfel-Macher ihr unmittelbares Publikum bereits jetzt aus, debattiert wird vor allem die Sperrzone um das Kerngebiet. Auf einer gigantischen Pressetribüne sollen 3800 Medienvertreter Platz finden, die direkt aus dem Inneren über die da oben senden können. Indes wollen die Gegner dafür sorgen, dass möglichst viele Bilder von außen über das Unten gesendet werden. Wie eine wilde Flotte will die bunte Gegnerschaft auf den Gipfel zusteuern, um mit medialstrategischer Piraterie Bildschirme und Titelseiten zu kapern. So schwierig dürfte es gar nicht sein, gegen die überwiegend von Krawattenriegen und Händeschütteln geprägten Szenen in der Zone anzukommen, in der einst Proust Ferien machte und sich Hitler und Mussolini ein Stelldichein gaben.

Aber auf der Gipfelseite ist man nicht faul, und bemüht, dem Gegner den Wind aus den Segeln der Sensation zu nehmen. Kanzlerin Merkel beteuert: „Wer friedlich protestiert, der findet auch unser Gehör.“ Gregor Gysi betont: „Demonstrieren ist ein Grundrecht!“ Wolfgang Schäuble hat gar erklärt: „Die Demonstrationen sind von der Bundesregierung grundsätzlich erwünscht.“ Vielleicht sind solche Positionen nicht allein für die Vladimir Putins dieser Welt ein Alptraum. Aus völlig anderen Gründen stören sie womöglich auch die Strategie der Gegner, der radikalen zumal. Wo soviel ermuntert, umarmt und anerkannt wird, mag am Ende doch der Gipfel als Gipfel die Bilderschlacht gewinnen, nicht der Gegengipfel und seine Events.

Originell spielt die G-8-Aktion von Greenpeace mit dem Motiv der Arche Noah. Auf der Spitze des biblischen Berges Ararat bauen die Umweltschützer nach Fitzcarraldo-Manier an einem gigantischen Schiff aus Pinienholz, das von archaisch wirkenden Eselkarawanen und türkischen Bauern gen Gipfel geschleppt wurde, ausgerechnet – mit Absicht? – archaische Bilder vorindustrieller Arbeitswelten heraufbeschwörend, in denen Lasttiere und Fronarbeit an der Tagesordnung waren.

Ein Zusammenschluss unabhängiger Protestgruppen stellt Videoclips unter dem Motto „G8 no!“ ins Netz, während Berlins einstige Kultursenatorin Adrienne Goehler seit Monaten für ihr Rostocker Projekt „Art goes Heiligendamm“ trommelt, an dem Katharina Sieverding und der Documenta-Künstler Christian von Borries teilnehmen.

Attac plant für seinen Alternativgipfel – seit Jahren Begleiter der G-8-Treffen – „Euromärsche und Fahrradkarawanen“, eine „Kunstdemo am Zaun“, die „Neubesiedlung des Bombodrom“, eine „Internationale Großdemo“, „Aktionstag gegen Militarismus“, die Blockade des Flughafens Laage. Zwischen dem 5. und dem 7. Juni soll es nahezu ununterbrochen solche Proteste und „Massenblockaden der Zufahrten nach Heiligendamm“ geben – die Journalisten werden darüber übrigens toben! Geplant sind auch zahlreiche Gebetsketten und Andachten. Von Heiner Geißler bis zum Spätpunk reicht die große Koalition der Gipfelgegner. Sie sammelt ihre Schafe ganz ohne Schäfer oder Chef ein, sondern formiert sich eher als die von den Kult-Theoretikern Hardt und Negri beschworene „Multitide“ Menge.

Damit der schäfchenhafte Eindruck nicht allzu arg überhand nimmt, ließ die „interventionistische Linke“, der Zusammenschluss linksradikaler und autonomer Gruppen, verlauten, man begrüße wirklich „alle Aktionsformen“ und distanziere sich von keiner. Wer auf dem Weg von der verbalen zur piktoralen Welt seine Bilder unterbringen will, muss nicht unbedingt sprechen, aber unbedingt etwas versprechen: Wilde Bilder, bewegte Szenen.

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