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Medien: Das Küchenkabinett

Wenn Jürgen backt, Ute wickelt und Antje die Ziegen füttert: Das ZDF hat Politiker fürs Reality TV entdeckt

Von Barbara Nolte

Auch in der journalistischen Betrachtung von Politikern gibt es Konjunkturen, Moden. Zurzeit werden sie psychologisch beleuchtet, treffender ausgedrückt, sie werden als Psychopathen entlarvt.

Jürgen Leinemann fing damit an. In seinem Buch „Höhenrausch“ beschrieb er die Berliner Politiker als Suchtkranke nach Macht und Anerkennung. Leinemanns Diagnose schlug Wellen, wahrscheinlich weil sie das Unbehagen vieler Menschen mit der politischen Klasse traf: Jenseits jeder Höflichkeit fallen Politiker übereinander her. Für die Presse inszenieren sie sich aber als nette Menschen, lassen sich im Urlaub oder in ihren Wohnungen fotografieren. Gerade diese Bilder haben meist etwas furchtbar Falsches. Im beeindruckenden Film „Im Rausch der Macht“, den die ARD vor zwei Wochen zeigte, entlockten die Autoren Horst Seehofer, Klaus Kinkel, Heide Simonis und Andrea Fischer frappierende Bekenntnisse – Eingeständnisse von Menschen, denen ihr Leben abhanden gekommen ist.

Auch als das ZDF dieser Tage seine Politiker-Dokumentationsreihe „3 Tage Leben“ vorstellte, fiel schnell das Wort „Déformation professionelle“. Eigentlich ist die Reihe eine harmlose Tauschgeschichte: Drei Politiker müssen drei Tage lang in einem fremden Leben klarkommen. Ganz ähnlich wie Thomas Gottschalk in „Gottschalk zieht ein“ oder die Super-Nannys. Doch „3 Tage Leben“ wird anders verkauft, als Test: Wie weit sind die machttrunkenen, dienstwagenabhängigen Aliens, die uns regieren wollen, überhaupt noch alltagstauglich? Es ist die Visualisierung der alten Reporterfrage an die Finanzminister der Republik: Wissen Sie eigentlich, was ein Pfund Butter kostet? Hineingelockt in die fremden Häuser werden die Politiker mit ihrer vermeintlich liebsten Droge: Fernsehminuten.

Für Jürgen Rüttgers geht es nach Bochum. Tauschpartnerin ist die Lehrerin Anke Post, die alleine ihre fünf Kinder groß zieht. Der Mann, der in zwei Monaten Ministerpräsident von Nordrhein- Westfalen werden will, brät Eierkuchen, sortiert Wäsche, mäht den Rasen. Es ist absurd anzusehen, wie er freundlich-unbeholfen im Haushalt werkelt, obwohl er in seinem eigentlichen Job mehr als genug zu tun hat. Der Jürgen, wie er sich von seinen Ziehkindern nennen lässt, zischt ein paar Scherze durch die Zähne. Glücklich wirkt er aber nicht. Michael Spreng, der bis Dezember sein Berater war, hat laut ZDF den Auftritt arrangiert, Möllemanns weisen Satz beherzigend, dass Aufsehen und Ansehen zwei Seiten derselben Medaille sind. Denn die Wahl im Mai ist Rüttgers letzte Chance. Wirft er nicht Peer Steinbrück aus dem Amt, zählt er zu den ewigen Verlierern der CDU. Wenn Rüttgers bei der Familie Post Regale abstaubt, staubt er in Wahrheit sein Image ab. Aber es ist auch riskant: Im Reality TV bewegt man sich auf einem schmalen Grat. Für Westerwelle war sein Auftritt bei „Big Brother“ das endgültige Ende als auch nur irgendwie ernst zu nehmender Politiker. Die FDP hat für ihre Leute die Teilnahme an der ZDF-Reihe pauschal abgesagt.

Bei der SPD lässt sich Ute Vogt, Staatssekretärin im Innenministerium, testen; sie tauscht sich für drei Tage einen Mann, ein Baby und eine Arbeit bei einem Essensdienst für Obdachlose. Bei den Grünen stand lange Fritz Kuhn auf der Liste des ZDF, er sprang ab. Antje Hermenau ersetzt ihn, die der grünen Fraktion im sächsischen Landtag vorsteht. Sie wird ins Leben einer reichen Hamburger Modelagenturchefin verpflanzt, in das – für eine Ökofrau aus Dresden – fremdmöglichste Habitat. Und das ist das Interessante an dem Format: Es versucht mit Gewalt, die Inszenierungsrituale zu brechen, die Politiker heute so perfekt beherrschen.

Nur: Ihre Inszenierungsrituale sind offenbar variabler, als man denkt. Geschult durch unzählige Besuche bei Ortsvereinen, Altenheimen, Jugendclubs, sind Politiker Profis im Brückenschlagen. So wie sie sich bei „Christiansen“ als kompetent inszenieren, inszenieren sie sich in „3 Tage Leben“ als leutselig. Antje Hermenau sitzt in der Villa ihres Tauschmannes und hat schon eine Gemeinsamkeit gefunden. „Also ich bin auch Trekki“, sagt sie, „ich hab’ sogar ’ne Uniform.“ Doch merkt man ihr an, dass sie angespannt ist. Dies hier ist schwerer als „Christiansen“. Sie muss so sympathisch wie möglich rüberkommen. Das Prinzip der Reihe ist das genaue Gegenteil von „Mein neuer Freund“ mit Christian Ulmen, der so furchtbar wie möglich rüberkommen muss. „Es gibt wenige, die mich nicht nett finden“, sagt Antje Hermenau schließlich. „Ja, klar“, nuschelt ihr Drei-Tage-Mann.

Ein anderes Mal sagt er: „Die Frau Hermenau lässt einen selber wenig zu Wort kommen.“ Er sagt das in eine Kamera, die extra für seine Kommentare aufgebaut wurde, eine, wie sie auch in der „Dschungelshow“ oder bei „Gottschalk zieht ein“ herumsteht. Und gerade an diesen Kommentaren erkennt man wieder die Haltung der Menschen zur politischen Klasse: Bei Gottschalks Hausbesuchen äußern sich die Gastfamilien überschwänglich, eine Frau sprach vom „schönsten Tag ihres Lebens“, obwohl das Gespräch sichtlich verkorkst war. In „3 Tage Leben“ sind die Anmerkungen oft kritisch. „Er sagt: nichts“, beschwert sich Jürgen Rüttgers Tauschkind. Der Verdacht öffentlich-rechtlicher Wahlwerbung kann also ausgeschlossen werden.

Auffällig sei bei allen drei Probanden gewesen, resümiert die ZDF-Innenpolitikchefin Bettina Schausten, dass sie die Hausarbeit abarbeiteten, wie sie sonst ihre Terminpläne abarbeiten. Schausten nennt das „Politikerkrankheit“.

Rüttgers, Vogt und Hermenau also schnippeln, putzen, backen, was das Zeug hält. Getreu dem Satz von Margaret Thatcher: „Jede Frau, die es versteht, einen Haushalt zu führen, tut sich leichter zu verstehen, wie man ein Land regiert.“ Per Ferndiagnose vom Bildschirm sind keine Krankheitssymptome zu erkennen. Wenn man davon absieht, dass sie wieder einmal das inszenierte Privatleben ihrem echten vorgezogen haben.

„3 Tage Leben“: Dienstag (Rüttgers), Mittwoch (Hermenau), 22 Uhr 45, Donnerstag (Vogt), 23 Uhr, im ZDF .

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