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Medien: „Das sind ja Shows“

Bundestagspräsident Wolfgang Thierse erfährt in Talksendungen fast nie etwas Neues

„Überlasst die FernsehTalkshows den Wichtigtuern, ihr selbst habt im Parlament viel Wichtigeres zu sagen – und Wichtigeres zu tun.“ Der frühere CDU-Chef Rainer Barzel und Altkanzler Helmut Schmidt haben in einem Beitrag für die „FAZ“ die Politiker aufgefordert, die Talkshows im deutschen Fernsehen zu meiden. Mit Bundestagspräsident Wolfgang Thierse sprach darüber Joachim Huber.

Herr Thierse, schalten Sie politische Talkshows im Fernsehen ein?

Manchmal, wenn die Zusammensetzung der Runde viel versprechend erscheint.

Und, erfahren Sie Neues?

Fast nie.

Rainer Barzel und Helmut Schmidt beklagen, die allgemeine Sucht nach Fernsehpopularität heutiger Politiker schade der demokratischen Meinungsbildung in unserer Gesellschaft.

Natürlich tragen Politiker wesentlich Verantwortung dafür, wie Politik in den Medien erscheint. Andererseits aber ist demokratische Politik auf Medien angewiesen: Ob Argument oder Person, immer gilt, was in den Medien, namentlich dem Fernsehen, nicht erscheint, existiert nicht. Welcher Politiker also könnte oder dürfte sich dem Fernsehen ganz entziehen, wenn er überhaupt noch die Chance behalten will, sich und seine Argumente wirksam bekannt zu machen! Das Fernsehen ist nun ein besonders flüchtiges und oberflächliches Medium, das zu wenig Zeit für sorgfältige Güterabwägungen und aufwändige Zielkonflikte hat. Insoweit entspricht es nicht den Erfordernissen, die an demokratische Meinungsbildung gestellt werden müssen. Aber: Es gibt ja zum Glück noch Zeitungen!

Sie selber sind auch Gast in Talkshows. Warum?

Bei manchen Fragen kann ich mich kaum entziehen; etwa Anfang des Jahres, als Nebentätigkeiten von Parlamentariern diskutiert wurden oder auch, als es um den Irak-Krieg ging. Aber Stammgast bin ich nicht bei den verschiedenen Talkshows.

Wie viel Fernsehöffentlichkeit verträgt das Parlament, die parlamentarische Demokratie?

Dem aktuellen Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages scheinen die öffentlichen Befragungen gut bekommen zu sein. Ich wünsche mir durchaus mehr Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen – also auch im Fernsehen –, damit die Wählerinnen und Wähler mehr über die tatsächliche, die fleißige und anspruchsvolle parlamentarische Arbeit erfahren.

Befördern die Talkshows mit ihren zugespitzten und meist negativen Themen die miese Stimmung in Deutschland?

Nicht die Talkshows allein und nicht alle gleichermaßen; alle Massenmedien haben eine Tendenz zum Empörungsjournalismus, unterhalb von „Wirbel“, „Skandal“ und Weltuntergang geht da nichts. Und gute Nachrichten verkaufen sich angeblich schlecht. Die schlechte Stimmung ist sicher auch davon beeinflusst.

Sie müssen es wissen: Reden Politiker in Talkshows anders, als sie im parlamentarischen Raum reden und handeln?

Ja. In einer Debatte kann man Argumente entfalten; im Ausschuss kann man sich nüchtern mit Sachverhalten auseinander setzen und über Konsequenzen streiten; in der Talkshow muss man in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Punkte machen, Lacher oder Beifall erheischen, egal, was die anderen sagen. Es sind ja Shows, keine Gespräche zur Sache. Politik ist Gegenstand der Unterhaltung, im Parlament geht’s wahrlich nicht um Unterhaltung!

Herr Thierse, wann ist Ihr nächster Talkshow-Auftritt?

Es ist derzeit keiner geplant, ich habe gerade für Donnerstag wieder einmal abgesagt.

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