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Medien: Daumen rauf – oder runter

Polit-TV: Der Zuschauer bleibt unberechenbar

Ausgerechnet Silvio Berlusconi. Der Ministerpräsident und größte Medienunternehmer Italiens hat sich darüber beschwert, dass die schwindende Zustimmung zu seiner Politik und zu seiner Person von den Medien, die nicht die seinen sind, herrührt. Verfängt bei den Italienern immer weniger die Pro-Berlusconi-Propaganda, die von den Mediaset-Fernsehsendern ausgeht?

Am 25. April tritt Außenminister Joschka Fischer vor den Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages. „Visa-TV“ geht auf Sendung. Die rot-grüne Koalition hofft, dass Medienstar Fischer die Gunst der Stunde nutzt, aus der Verteidigungs- in die Angriffshaltung kommt, dass die schädlichen Wirkungen der Visa-Affäre überwunden werden.

Negative Wirkung der Medien, positive Wirkung – was stimmt denn nun? Die Medienforschung hat es da nicht leicht. Denn Auftritte von Politikern im Fernsehen sind meist wohl kalkuliert. „Die Akteure kennen die Medienlogik und sind darauf eingestellt, vor einem großen Publikum zu stehen“, sagt Christina Holtz-Bacha von der Universität Erlangen. Die Wissenschaftlerin beschäftigt sich mit politischer Kommunikation und deren Wirkung in den Medien. Was sie untersucht, ist also stets Teil der von den Politikern angestrebten Wirkung. Ohne Kameras würden sie sich anders verhalten. Die Zuschauer sind sich dessen nicht immer bewusst, sagt Barbara Pfetsch von der Uni Hohenheim. Denn Politik vermittelt sich heute fast nur über die Medien.

Eine völlige Instrumentalisierung der Medien durch gut geschulte und beratene Politiker wird es trotz aller Versuche nicht geben, sind sich die Experten einig. Das zeigt das Beispiel Berlusconi. Trotz seines Medienimperiums gibt es immer noch eine kritische Berichterstattung. Warum aber Berlusconi selbst das in die breite Öffentlichkeit zerrt, bleibt fraglich. Für die Wirkungsforscher ein „Witz“.

Und Fischer? Der könne sich zwar auf die Situation vor dem Ausschuss detailliert vorbereiten, doch die genauen Fragen kennt er nicht, weiß nicht, wer sie stellt und in welcher Form. Das Drehbuch der Inszenierung fehlt. Aber nicht nur die Berater haben damit ihre Schwierigkeiten. Die „interaktive Situation“ erschwert auch den Forschern, die Wirkung der Befragung zu bewerten, sagt Holtz-Bacha.

Uwe Hasebrink vom Hans-Bredow-Institut in Hamburg nennt weitere Faktoren, die die Wirkung von „Fischer-TV“ beeinflussen: Wie beliebt ist der Politiker gerade, und wie ist die Stimmung im Land? Beides steht im Moment nicht zum besten. Trotzdem könnte Fischer daraus einen Vorteil ziehen, sagt Holtz-Bacha. „Das Fernsehen bietet sich an für gefühlvolle Appelle an die Zuschauer“, sagt sie. Fischer werde durch seine schon öfter bewiesene Mischung aus echter Besorgnis und Seriosität punkten können. Zerknirscht und mit in Falten gelegter Stirn.

Doch nicht nur Emotionen, auch Fakten werden auf den Tisch kommen, vermuten die Forscher. Fakten in Form von Zahlen: Um wie viele Fälle geht es eigentlich? „Solche Zahlen sollen den Zuschauer beeinflussen“, sagt Holtz-Bacha. Der Zuschauer werde dadurch gezwungen, das Problem einzuschätzen – entweder als gering oder beträchtlich, je nach Absicht des Faktengebers.

Wenn der Zuschauer diese Einschätzung tatsächlich leistet. Selbst bei den Sendungen mit den höchsten Neuigkeitswerten, den Nachrichten, ist er unkonzentriert. 30 Prozent der Zuschauer werden über Nachrichten nicht erreicht, die Meldungen werden nicht verstanden und noch schneller vergessen. Analysen zeigen, dass 44 Prozent der Zuschauer nur 25 Prozent der Informationen memorieren können, die sie zuvor in einer 15-minütigen Nachrichtensendung vermittelt bekamen. 26 Prozent können nichts Relevantes sagen, nur neun Prozent können sich an zwei Drittel des Gesehenen erinnern. Ob Fischer oder Berlusconi: Wer immer auf die Macht des Fernsehens setzt, der muss wissen, wie rasch und tief er in die Kluft zwischen Informationsangebot und Informationsnutzung stürzen kann. Dort sieht und hört ihn keiner. Null Wirkung.

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