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Medien: Der Adolf war’s nicht alleine

Kriegsende, Holocaust-Mahnmal, Speer: Das Fernsehen gewinnt gegen die Nazis

Jetzt ist sie rum, die Kriegsende-Holocaust-Speer-Woche. Der Dreiklang hat viele berührt, zahlreiche bewegt und manchen weder berührt noch bewegt. Angenommen, der Einschaltknopf taugt als Seismograf für das Interesse, dann gilt: Die Live-Übertragungen der Gedenkfeiern am Sonntag haben nur wenig Zuwendung erfahren. 700 000 Zuschauer in der ARD, 600 000 im ZDF. Dieser Zuspruch wurde noch deutlich unterboten. Am Dienstag, als das Holocaust-Mahnmal in Berlin eröffnet wurde, verfolgten die Übertragung im Ersten 350 000 Zuschauer, im Zweiten waren es 450 000. Das sind in einem Mediensystem, das seine Nutzer nach Millionen zählt, sehr magere Ergebnisse. Nun kann an einem Muttertag-Sonntag und an einem Werktag-Dienstag nicht mit riesenhaften Quoten gerechnet werden. Was aber stimmt: Wer an diesen beiden Tagen sein Fernsehen eingeschaltet hatte, der war nicht zuerst an Kriegsende und Holocaust interessiert. Eine Zahl: Der Marktanteil bei der ARD-Übertragung am Dienstag lag bei 3,7 Prozent, heißt: Von hundert eingeschalteten Geräten hatten nicht einmal vier die Einweihung des Mahnmals auf dem Schirm.

Haben ARD und ZDF sich mit ihren stundenlangen Live-Bildern verhoben? Gar nicht, sie haben nur etwas getan, was sie an allen anderen Tagen des Jahres nicht als Ziel verfolgen: Sie haben die Ereignisse wichtiger genommen als den sonst bedrängenden Wunsch nach großer Quote. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat – vielleicht zu seiner eigenen Überraschung – das Relevante vom Interessanten geschieden. Das sind die Zuschauer des deutschen Fernsehens nicht mehr gewohnt. Ein Phoenix-Fernsehen in den Programmen von ARD und ZDF – wo kommen wir da hin, wo sonst das Aufregende, das Hochgeschürzte, das Tempogeladene triumphiert und lockt?

Wenn das hochgereizte Publikum mit den statischen Gedenkbildern nur wenig anfangen kann (um das Nichtgesehene in den Nachrichten zur Kenntnis zu nehmen), dann muss es der thematisch eng verstrickte Vierteiler „Speer und Er“ bei den Zuschauern vergleichbar schwer gehabt haben? Hat er nicht. Montag: 4,07 Millionen (Teil 1); Mittwoch: 3,81 Millionen (Teil 2); Donnerstag: 3,64 Millionen (Teil 3) und 1,23 Millionen (Teil 4).

Natürlich, Prime-Time-Fernsehen um 20 Uhr 15 hat vom Tagesablauf der potenziellen Zuschauer her ungleich bessere Aussichten auf die große Zahl als die Nachmittagsprogramme. „Speer und Er“, das Doku-Drama von Heinrich Breloer, hat sich in der Konkurrenz behauptet. Millionen Zuschauer haben ihre Auswahl getroffen im Allerlei aus Serien, Shows und Spielfilmen. Sie wollten sich der Frage aussetzen und sie beantwortet wissen, was der „Entlastungs-Nazi“ Albert Speer von den monströsen Verbrechen gewusst hat und was nicht. Und sie haben erfahren, dass Hitlers Architekt und Rüstungsminister auch für die Juden-Deportation verantwortlich, er sich dieses Verbrechens mit schuldig gemacht hat. Was Heinrich Breloer, seinem Koautoren Horst Königstein und den produzierenden ARD-Sendern vor allem anderen geglückt ist: die Verlängerung von „Speer und Er“ in „Speer und Er und Wir“.

Heinrich Breloer hat mit seinen Filmen den seit mehr als einem Jahrzehnt dominierenden Fernsehblick gebrochen, er hat den ZDF-Historiker Guido Knopp überwunden. Das Verdienst von Knopp ist nicht klein, es ist beträchtlich: Er hat das Themenfeld des Nationalsozialismus für das 20-Uhr-15-Fernsehen fruchtbar gemacht, das sonst in den Nischenprogrammen und im Spät-in-der-Nacht-Fernsehen bestellt wurde. Das hat Knopp geschafft, indem er die Superlative des „Dritten Reichs“ traktiert hat. „Hitlers …“, „Hitler und …“, ja, nicht die vielen mittleren und kleinen Nazis sind’s gewesen, der Adolf war’s!

Die Marionetten, die Puppen in der Puppe des Supernazis, die Mitläufer und die Mitträger des Systems blieben bei Guido Knopp gerne übersehen, wie die Marionetten, die Puppen in der … etc. in der Nachkriegszeit, die eben auch eine Nachnazizeit war. Der Popanz, den Albert Speer in seiner 20-jährigen Haft in Spandau aufgebaut hat, der geisterte auch im Rest der Republik durch die Köpfe. Einer für alle, alle für einen. Heinrich Breloer hat die Perspektive geweitet: Wer wusste was, wer tat was, wer war wofür verantwortlich, wer ist woran schuldig geworden? Und schon sind wir in der Gegenwart, noch können Eltern, Großeltern, Zeitzeugen und Ohrenzeugen gefragt werden und berichten. Vom Guten. Vom Bösen.

Kriegsende, Holocaust-Mahnmal, „Speer und Er“: diese Fernsehwoche hat die Vergangenheit aktualisiert. Nicht die Nazi-Verbrechen wurden aufgedeckt und enthüllt, sie wurden erinnert, und diese teils genaue und teils verdrängte Erinnerung wurde aufgedeckt und enthüllt.

Es war 1979, da ist dem Fernsehen etwas vergleichbar Großes geglückt. „Holocaust“, eine Serie des kommerziellen amerikanischen Fernsehens, erschütterte die Bürger der Bundesrepublik. Sie wurden auf sehr emotionale Weise mit der Judenvernichtung konfrontiert. Sie erfuhren, was sie nicht wussten oder nicht wissen wollten.

Mehr als ein Vierteljahrhundert später, 2005, „Speer und Er“, eine deutsche Produktion. Der Fortschritt ist eine Schnecke, kommt aber aus Deutschland.

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