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Medien: Der studierte Rocker

Über Motorräder schreiben, aber niemals fahren: „Bikers News“-Chef Hans „Doc“ Baumann geht

So sehen eigentlich Biker aus. Lange Haare. Dünn, schwarz, offen getragen. Grau gesträhnter, zotteliger Bart. Durch den dichten Pelz kommt aber ein unerwartet helles und klares „Hallo“. Kein tiefer, von Zigaretten und Whisky trainierter Bass. Über der verschlissenen Jeans hängt ein dünner Pullover. Die in der Rockerszene üblichen Lederklamotten fehlen.

Dieser Mann ist der Motor der „Bikers News“. Nach 25 Jahren verlässt er die Zeitschrift. Hans D., genannt „Doc“, Baumann ist promovierter Kunstwissenschaftler, er avancierte vom freien Journalisten über den Chefredakteur zum Herausgeber der größten deutschen Biker- und Rockerzeitschrift (verkaufte Auflage über 85 000 Exemplare). Er wurde Biker-Spezialist, ohne selbst zu fahren, ohne überhaupt einen Führerschein zu haben.

Der Mann ist höchst erfolgreicher Autodidakt. So wurde er, der Bildbearbeitungs-Amateur, auch zum Digital-Spezialisten und Herausgeber eines Fachmagazins namens „Docma – Doc Baumanns Magazin für digitale Bildbearbeitung“. Das erscheint alle zwei Monate und befasst sich mitThemen wie der „malerischen Umsetzung eines digitalen Bildes“. Was meint: Wie hilft mir Photoshop, aus einem schnöden Passbild ein Dürer-Porträt zu machen?

Nach der Promotion 1980 über Bildwahrnehmung strebte Baumann eine Professur mit Lehrstuhl an der Universität an. Der Weg endete, bevor er die Ziellinie überschritt. „Intrigen, Mauscheleien und Mobbing“, sagte er, „waren an der Tagesordnung an der Uni. Nichts für mich.“

Zum Spagat zwischen Kunst und Rockermilieu setzte Doc Baumann Anfang der 80er Jahre an. Er traf seinen ehemaligen Kommilitonen Walter Cuntze wieder. Der Kunstpädagoge hatte die Firma AME gegründet, einen der ersten Motorrad-Umbauspezialisten Deutschlands. Zu dessen wilden Kreationen zählte etwa ein lackierter, wahlweise bemalter Tank. Baumann malte mit. Selbst die Fassade seines Hauses hat er mit sitzenden und liegenden Göttern der Antike verziert.

Als Tankbemaler und freier Journalist der neuen Zeitschrift „Bikers News“ kam der „beinharte Atheist“ und „Alt-68er“ ins Rockermilieu. Der heute 55-Jährige, der mit Lebensgefährtin und Kater in einer umgebauten ehemaligen Dorfdisco in der Nähe von Gießen lebt, tauchte ein in die Welt des berühmt-berüchtigten Motorrad-Clubs „Hells Angels“ – zu wilden Partys, zu lauten Motorrädern. Fernab von Hochschule und Habilitation.

Doc Baumann, hoch gebildet – mehr als 18 000 Bücher stehen in seiner privaten Bibliothek –, ein schlanker, schwächlich wirkender Typ, hat den Rockern Respekt abverlangt. Sein Geheimrezept: „Absprachen einhalten, Einfühlungsvermögen und gut recherchierte Storys.“ Seitdem wechselte sein Leben zwischen hoch dotierten Photoshop-Vortragsreisen und ausgelassenen Motorradpartys. Zahlreiche Standardwerke für Grafiker und Mediengestalter hat er verfasst. Etwa Doc Baumanns „Digitale Bildwelten“.

Photoshop bleibt, von den „Bikers News“ zieht Doc Baumann sich als Herausgeber zurück. Übrigens: Fragten ihn die Rocker nach seinem Gefährt, ließ er stets gelassen „V 70“ fallen – das Kürzel seines Volvo.

Christian Dotterweich

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