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Medien: Die ersten Blutstropfen zweier Weltkriege

Sarajevo, 28. Juni 1914: ein Attentat und seine Folgen an einem Themenabend bei Phoenix

Von Caroline Fetscher

Die alte Dame gibt Auskunft über ihr Leben – wie irgendeine gebildete, sympathische Rentnerin. „Es war ein Sonntag“, berichtet sie, „wir haben draußen im Garten gesessen, und da ist plötzlich ein Diener rausgekommen mit einem Telegramm.“ Doch Zita von Habsburg-Lothringen ist nicht irgendeine Rentnerin. Von 1916 bis 1918 war sie Kaiserin. Und in dem Telegramm, das alle im Garten bleich werden ließ, war zu lesen, dass „Onkel Franz und Tante Sophie“ umgebracht worden waren. Gemeint waren der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand und seine Ehefrau, die bei einem Besuch in Sarajevo am 28. Juni 1914 von dem serbischen Attentäter Gavrilo Princip erschossen worden waren. Tat und Datum gelten bei vielen Historikern als Auslöser und Beginn des Ersten Weltkrieges vor genau neunzig Jahren.

Diesem Schlüsselereignis widmet Phoenix heute einen ganzen Themenabend: beginnend mit einer Dokumentation zu unveröffentlichten Feldpost-Briefen („Eiserne Ernte“, 20 Uhr 20) über „Die Affäre Mangin“ (21 Uhr 20), der symbolhaften Geschichte eines Soldaten, der sein Gedächtnis im Krieg verlor und es nie wiederfand, zur deutschen Erstausstrahlung einer ORF-Produktion „Sarajevo 1914“ (22 Uhr 25) und „Die Generale - Anatomie der Marneschlacht“ (23 Uhr 20) von Sebastian Haffner.

Besondere Aufmerksamkeit wird der ORF-Dokumentation von Ernst Trost gehören, die bald ein Dutzend Zeitzeugen-Interviews wie jenes mit der alten Kaiserin bietet. Enkel und Urenkel des ermordeten Paares kommen zu Wort, Archivare, Militärhistoriker oder „heeresgeschichtliche Forscher“, der Großmufti von Sarajevo, Mustafa Ceric, der den in Serbien noch häufig verehrten Attentäter mit Terroristen von heute gleichsetzt, schließlich der bosnisch-katholische Pater Ivo Markovic, der die „Entwicklungsarbeit“ Österreich-Ungarns von 1878 bis 1918 preist.

Nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches schlugen die Großmächte beim Berliner Kongress 1878 einander die Stücke des verwaisten Kuchens zu und gerieten darüber in eine Kette von Konflikten. So deutete man in Serbien den Besuch des österreichischen Herrscherpaares in Sarajevo als Auftakt zu neuen Militäraktionen, und so wertete man in Wien Princips Attentat als Angriff Serbiens auf Österreich. Während diese Fehldeutungen und ihre fatalen Folgen bei Historikern längst neben die strukturelle und ökonomische Ursachenforschung getreten sind, verharrt Ernst Trost gleichwohl bei den dynastischen Verwicklungen und Tragödien, die im gewaltsamen Tod des nahezu mythisch dargestellten Paares Franz Ferdinand und Sophie ihren Kristallisationspunkt suchen.

„Österreichischer“, nostalgischer, könnte man sich eine solche Dokumentation kaum denken, die einen Canyon entfernt ist etwa vom nüchternen und doch emotional oft ergreifenden Stil einer BBC-4-Produktion. Hier wird die Reduktion der Kriegsursachen auf diesen Mord erneut festgeschrieben, noch dazu mit Hilfe vieler, anrührend altmodisch im k.u.k-Duktus erzählender Zeugen.

Welchen Verlust, welches Trauma das Attentat – zweifellos – für die erzherzögliche Familie bedeutet hatte, das steht hier mehr im Vordergrund als die Frage, was die breite Bevölkerung Serbiens oder Bosniens damals fürchtete und erlebte, zu einer Zeit, als man in Belgrad begann, verschwörerische und nationalistische Pläne für ein „süd-slawisches“ (übersetzt: jugo-slawisches) Südosteuropa unter serbischer Führung zu entwickeln, Pläne, deren Echo bis in heutige Ideologien nachhallt. Die Wahl der Perspektive, quasi aus dem Herrscherhaus heraus oder doch auf der Ebene persönlicher Narration und anekdotischer Fülle, hat gewiss ihren Reiz, doch sie bleibt problematisch.

Dennoch ist der Film sehenswert, und sei es wegen des umfangreichen Archivmaterials wie der schwarz-weiß gedrehten Filmaufnahmen vom Marktplatz in Sarajevo 1914 und der vielen musealen Exponate, die hier versammelt sind.

So wird die blutbefleckte Uniform Franz-Ferdinands vorgeführt, vom Enkel beinahe stolz kommentiert: „Die ersten Bluttropfen, eigentlich, zweier großer Weltkriege“. Es sind hier zwei Filme in einem zu sehen: einer, der uns Details und Fakten des Attentats präsentiert, und ein zweiter, der ungewollt Auskunft gibt über eine heute noch in Österreich mögliche Rezeption der frühen Geschichte des 20. Jahrhunderts und des Tages, an dem, wie es in dem Telegramm hieß, das der Diener in den Garten brachte, „beide hoechsten herrschaften von ruchloser moerderhand gefallen“ waren.

Phoenix-Themenabend: Sarajevo 1914 - Ein Attentat und seine Folgen. Heute ab 20 Uhr 15

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