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Medien: Die Frühlingsrolle

Verhöre, Selbstkritiken, Zensur: Jetzt soll die Arbeit der Korrespondenten in China wegen Olympia 2008 leichter werden

„Ich gestehe. Ich habe meine journalistische Arbeit ausgeübt und damit Regelungen in China verletzt. Ich erkenne hiermit an, dass die chinesische Regierung nicht möchte, dass ich das Gesehene berichte.“ Solche oder ähnliche „Selbstkritiken“ hat beinahe jeder Korrespondent in China mindestens einmal unterschrieben, um seine Festsetzung früher zu beenden.

„Als Journalist wird man hier schnell behandelt wie in anderen Ländern Mörder“, sagt Harald Maass, der unter anderem für den Tagesspiegel aus China berichtet. Bei der Recherche zu einem illegalen Kohlebergwerk stürmte plötzlich mitten am Tag ein Polizeitrupp in sein Hotel. Beim anschließenden Verhör durfte er nicht einmal allein auf die Toilette. „Bei all den positiven Wirtschaftsmeldungen aus China“, sagt Maass, „wird schnell vergessen: Die Zensur ist noch immer sehr stark.“ So müssen sich Journalisten in China jedes Mal abmelden, wenn sie Peking verlassen. Zudem soll jede Recherche, jedes Interview den Behörden angekündigt werden.

Jetzt soll alles anders werden. Seit 1. Januar sind neue Regelungen in Kraft getreten, welche die Arbeit der Korrespondenten erleichtern könnten. Neben der unbeschränkten Reisefreiheit im Land überrascht vor allem ein Detail: „Um Organisationen oder Einzelpersonen in China zu interviewen, müssen ausländische Journalisten nur deren vorherige Zustimmung erhalten.“ So formulierte es Liu Jianchao, der Sprecher des chinesischen Außenministeriums. Auch wenn diese Regelungen zunächst nur bis zum 17. Oktober 2008 – einen Monat nach Ende der Paralympics - gelten sollen, stellt sich die Frage: Bewegt sich China wegen der Olympischen Spiele 2008 in Richtung Pressefreiheit?

„Diese Neuerungen sind eher kosmetische Korrekturen“, sagt Henrik Bork, Korrespondent für die „Süddeutsche Zeitung“. „An meiner Arbeitsweise werde ich jedenfalls nichts ändern.“ Im Prinzip sei jetzt nur das legalisiert, was bisher Status quo war. Genau wie Maass habe Bork die Behörden nie um Erlaubnis für Interviews gefragt oder jede einzelne Reisen angemeldet. Es galt als ungeschriebenes Gesetz, dass solche Restriktionen ignoriert werden. Die neue Lockerung von Seiten der Regierung könnte aber immerhin eine Veränderung in der Atmosphäre zwischen beiden Seiten schaffen. „Schließlich haben wir bisher oft illegal gearbeitet“, sagt Bork weiter, „womit die Regierung immer etwas gegen uns in der Hand hatte.“

Viel schwerer haben es da die chinesischen Mitarbeiter vieler Journalisten. „Fast alle meine Mitarbeiter werden irgendwann von der Staatssicherheit zum Gespräch gebeten“, sagt Tagesspiegel-Korrespondent Maass. Sie erzählen ihm nichts davon, aber „wirklich brisante Daten behalte ich deshalb ohnehin nur für mich.“Er hat sich damit abgefunden. Er wolle niemanden unnötig in Schwierigkeiten bringen – und zudem seine Interviewpartner schützen.

Ein Informant, dem ein Interview mit einem deutschen Medium zum Verhängnis wurde, ist Fu Xiancai. Nach unzähligen früheren Gesprächen mit Korrespondenten wurde er ausgerechnet nach einem ARD-Interview im Juni dieses Jahres so zusammengeschlagen, dass er seither querschnittsgelähmt ist. Die Schläger wurden bis heute nicht bestraft. „Unseren Informanten gilt nach wie vor unsere größte Sorge“, sagt ARD-Korrespondent Jochen Gräbert. Für ihn ist deshalb bei den neuen Regelungen ab 2007 vor allem entscheidend, wie sie im Einzelnen umgesetzt werden. „Was ist“, fragt Gräbert, „wenn die Provinzgouverneure uns weiterhin an der Arbeit behindern?“ Schließlich seien sie es oft, die eine Geschichte über ihre Region verhindern wollen – wie im Fall Fu Xiancai. Die Zentralregierung hingegen sei ausländischen Journalisten immer wieder dankbar, wenn sie Korruptionsvorfälle aufdecken.

Es ist eine paradoxe Situation: „Wir Journalisten stellen zum Teil die einzige Verbindung zwischen Zentrum und Provinz dar“, sagt Jonathan Watts, Korrespondent des britischen „Guardian“ und Vize-Präsident im Klub Ausländischer Korrespondenten in China. „Das birgt eine doppelte Verantwortung.“ Doch zunächst ist ihm vor allem wichtig, mit seiner Arbeit darauf hinzuwirken, dass die neuen Regelungen nach den Olympischen Spielen 2008 nicht zurückgenommen werden. „Vor allem die britische und amerikanische Presse wird besonders von der Staatssicherheit kontrolliert.“ Die Internetseite von BBC ist gesperrt, wie rund 19 000 andere Seiten auch. Das zeigt, wie weit China noch von einer freien Presse entfernt ist. Doch eine ähnlich hohe Zahl wird 2008 einen großen Einfluss ausüben – nämlich jene 20 000 Journalisten, die für die Olympischen Spiele nach China reisen.

Und sie werden von vielen sehnsüchtig erwartet. Vielfach sind Chinesen von der heimischen Presse enttäuscht und wenden sich gezielt an westliche Journalisten. Sie rufen dann: „Schreibt über uns! Bei Euch ist Pressefreiheit!“

Sören Kittel[Peking]

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