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Medien: Die Geister, die ich rief

Wenn es sie nicht gäbe, sähen Boris Becker, Dieter Bohlen oder Stefan Effenberg ganz schön alt aus: Franz Josef Wagner, Katja Kessler oder Jan Mendelin – alles Ghostwriter. Neuerdings schreiben sie das Leben der Promis nicht nur auf, sondern sogar fort. Und bei guter PR werden die Ghostwriter genauso bekannt wie ihre berühmten Helden.

Von Barbara Nolte

Viel hat er noch nicht geschrieben. Ein paar kurze Artikel ganz am Anfang seiner Karriere. Danach war er sechs Jahre beim Fernsehen: RTL. Und es ist auch nicht so, dass Jan Mendelin besonders elegant formulieren könnte. Derb manchmal. Von Lothar Matthäus, „dem Verpisser“, schreibt er. Und von der berühmten „Kloschüssel“, über der Stefan Effenberg nach einer Disko-Nacht „ordentlich“ abhing, „um zu kotzen“. „Mir war wichtig, dass die Sprache authentisch ist. Stefan Effenberg sagt halt nicht, wenn er mit sehr guten Freunden ausgeht: ,Mir war speiübel‘.“ Die „Süddeutsche“ und die „FAZ“ haben dem jungen Autor mit dem naturalistischen Stil lange Rezensionen gewidmet, die zwar nicht besonders positiv ausfielen, aber das macht ihm nichts. Jede Kritik sei „eine Ehre“, sagt er. Der „Spiegel“ hat ihn interviewt, und das Sat-1-Frühstücksfernsehen und die Sendung „Akte 03“ haben ihn eingeladen, doch ins Fernsehen ging er nicht. Nach einer letzten Signierstunde bei Karstadt in Dortmund saß Mendelin, der Stefan Effenbergs Ghostwriter ist, vergangene Woche mit dem Fußballer im Flugzeug nach Kathar. Der Buchhandel hatte sein Buch in der Zwischenzeit 150 000 Mal geordert. In der „Spiegel“-Bestsellerliste landete es auf Anhieb auf Platz zwei.

Der Trubel um Mendelins Erstling ist so ungewöhnlich nicht. Von den Intellektuellen belächelt, zählen Autobiografien schon seit Jahrhunderten zur beliebtesten Lektüre. Die Erinnerungen von Bismarck, die des Nazi-Architekten Albert Speer und des amerikanischen Außenministers Henry Kissinger; die Lebensberichte von Hildegard Knef, Marlene Dietrich und Mohammed Ali – sie versprachen Einblicke in eine verborgene Welt.

Für die Ghostwriter hieß das: zähe Arbeit. Bis zu hundert Stunden lang Monologen zuhören, tausende Seiten Interviewabschriften strukturieren. Und wenn man endlich ein Kapitel fertig hatte, begann der Abstimmungsprozess. Ein bisschen erinnert die Arbeit an die der Hofmaler: Denn das Bild, das Ghostwriter zeichnen, muss zuallererst den Porträtierten gefallen. Für eine Autobiografie, die ein Jahr Arbeit ist, gab es oft nur 10 000 bis 20 000 Euro. Öffentliche Anerkennung gab es gar keine.

„Bis heute weiß keiner, wer die erste Autobiografie von Franz Beckenbauer geschrieben hat“, sagt der Münchner Literaturagent Lionel von den Knesebeck, der schon seit einem Vierteljahrhundert im Geschäft ist und unter anderem die Lebensberichte von Maximilian Schell und Hardy Krüger an die Verlage gebracht hat. Mit Romy Schneider fing seine Karriere an, mit einer traurigen Geschichte. Lionel von den Knesebeck war Romy Schneiders Schulkamerad. Und da das Leben der Schauspielerin damals noch viel größer und skandalumwitterter war als heute das von Oliver Kahn, schickte sein früherer Arbeitgeber Bertelsmann ihn bei ihr vorbei, um sie zu einer Autobiografie zu überreden. Sie sagte zu – dann starb sie.

Doch zurück zu Beckenbauer. Anders als bei der ersten Autobiografie des ehemaligen Fußballers, sagt von den Knesebeck, kannte bei seiner zweiten, die in den neunziger Jahren erschien, jeder den Co-Autor. Es war Edgar Fuchs, der frühere Chef der Münchner „Abendzeitung“. Auch Boris Becker tat nie so, als hätte er sein Leben allein in den Computer getippt, ihm half Franz Josef Wagner, der mal die „Bunte“ und die „BZ“ leitete.

Das sind alles Namen, die keinen Zweifel lassen: Der Ghostwriterjob ist prestigeträchtiger geworden. Doch erst im vergangenen Jahr, mit Katja Kessler, die bei „Bild“ Klatschkolumnistin war, bevor sie Dieter Bohlens Autobiografie „Nichts als die Wahrheit“ mitschrieb, traten die Ghostwriter endgültig aus dem Schatten der Prominenten heraus. Im April bekam Kessler „Die Goldene Feder“ für ihr Buch – einen Medienpreis, mit dem sonst Chefredakteure, Moderatoren und bedeutende Publizisten ausgezeichnet werden.

Für den Herbst wird mit einer Flut ähnlicher Autobiografien gerechnet – das ist nicht anders als bei den Fernsehformaten: Was erfolgreich ist, wird nachgemacht. Und die Lieblingsprotagonisten des deutschen Boulevards stehen schon mitten in Verhandlungen. Boris Becker, heißt es in der Buchbranche, habe selbst bei einigen Verlagen angefragt. Doch unter einer Million fange er gar nicht erst an zu verhandeln. Uschi Glas hat bei Droemer Knaur bereits unterschrieben. Und nach Katja Kesslers Erfolg wird es kein Problem sein, die Ghostwriter für die Bücher zu finden.

Der „Stern“-Journalist und „Wir-Kinder-vom-Bahnhof-Zoo“-Autor Kai Herrmann soll schon an einer Autobiografie von Udo Lindenberg sitzen. Susanne Juhnke hat die ehemalige „Bunte“-Chefin Beate Wedekind für ihre Memoiren engagiert. Beate Wedekind sagt, sie habe kurz gezögert, bevor sie das Angebot angenommen habe. Aber nicht, weil sie das abhängige Arbeitsverhältnis des Ghostwriter fürchtete, sondern, weil Susanne Juhnkes Leben so „kummervoll“ sei. Im vergangenen Sommer hat sie sich dann mit Susanne Juhnke zusammengesetzt, sie hat auch ihre Tagebücher gelesen. Die ersten Kapitel hat Wedekind schon geschrieben. „Ich muss mich sehr zurücknehmen, mich in Susanne Juhnke reinversetzen. Jedes Wort, das ich schreibe, ist ein Wort von ihr.“

Der Frondienst, die der Programmleiter Sachbuch von Rowohlt, Uwe Naumann, das Ghostwritern einmal scherzhaft nannte, lohnt sich: Mit einer Autobiografie erreichen Autoren viel mehr Leser als mit Biografien, mehr auch als mit fast allen Romanen. Naumann berichtet von einer Boris-Becker-Biografie, die kürzlich bei Rowohlt herauskam: Ein gutes Buch, findet er, und der Autor, Fred Sellin, hätte sogar Beckers erste Freundin ausgegraben, was das Buch sogar in die „Bild“-Zeitung brachte. Trotzdem hat es sich bis jetzt nur 16 000 Mal verkauft. Das Problem mit den Biografien sei auch die Vermarktung: Talkshows wollten immer nur den Helden selbst einladen und nicht den Biografen.

Außer, wenn der Ghostwriter selbst bekannt ist. Deshalb geben Verlage heute häufig das Geld für einen prominenten Co-Autor aus. Ghostwriter würden dann „im Doppelpack“ promotet, sagt Beate Wedekind. „Das ist der Zug der Zeit, das Ausreizen von Verkaufsargumenten.“

Von Ghostwritern wird heute also das Gegenteil verlangt wie früher: Sie müssen sich sichtbar machen. Katja Kessler brachte außer ihrer Prominenz noch etwas anderes Wertvolles mit: Enge Kontakte zu „Bild“. Der Ehemann ist dort Chefredakteur. Die Springer-Zeitung plazierte den Buchstart von „Nichts als die Wahrheit“ mit einer Vordruckserie und anderen Berichten über Dieter Bohlen.

Zurzeit sitzt Kessler am zweiten Band der Bohlen-Memoiren. Im Herbst soll er rauskommen. Diesmal sei die Arbeit schwieriger als beim ersten Buch, sagt Katja Kessler, „weil wir mit uns selbst konkurrieren, nämlich mit dem sensationellen Erfolg von Bohlen I.“ Sie nennt es das Boulevardbuch. Zutaten: Liebe, Sex, Intrigen, und das alles unorthodox formuliert. Denn das ist das wirklich Neue an „Nichts als die Wahrheit“, das Katja Kessler als Ghostwriterin mit Wortschöpfungen wie „Mixi-Mixi“ oder „Mulmeritis“ durch Bohlens Lebensbericht durchscheint. Und wenn die anderen Verlage wirklich mit Prominentengeständnissen nachziehen – Katja Kessler und die „Bild“-Zeitung sind schon einen Schritt weiter. „Komm in mein neues Buch“, forderte Dieter Bohlen in der vergangenen Woche auf einer halben Seite in der „Bild“ die Leser auf.

Sie konnten einen Fragebogen einschicken. Wer ihn am originellsten ausgefüllt hat, trifft sich mit Dieter Bohlen und Katja Kessler. Im neuen Bohlen-Buch erscheinen dann ein paar Seiten über ihn. Jetzt schreiben die Ghostwriter das Leben nicht nur auf, sie schreiben es fort.

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