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Medien: Die Gerhardt-Goppel-Show

In den politischen Talkshows waren im vergangenen Jahr die Oppositionspolitiker besonders stark vertreten

Von Joachim Huber

und Matthias Bartsch

Eigentlich hätte die FDP bei der Bundestagswahl 2002 mindestens 18 Prozent einfahren müssen. Wenn die Gleichung Fernsehpräsenz gleich Wahlausgang auch nur annähernd stimmt, dann haben die Liberalen alles richtig gemacht. Der FDP-Chef Guido Westerwelle und der Fraktions-Vorsitzende Wolfgang Gerhardt haben in den bundesweit ausgestrahlten, politischen Talkshows das gelbe Fähnlein ausgiebig geschwungen. Addiert man die Auftritte anhand der Gästelisten von „Sabine Christiansen“ (ARD), „Berlin-Mitte“ (ZDF) und „Talk in Berlin“ (n-tv) zusammen, dann tauchten Westerwelle elf Mal und Gerhardt zehn Mal auf (siehe Grafik). Das ist Spitze – und wird nur noch vom SPD-Spitzenpolitiker Franz Müntefering erreicht.

Der dichte Pulk an Talkgästen aus den Unionsparteien auf den nächsten Plätzen erlaubt den Schluss, dass die politische Talkshow mehr das Forum der Opposition als das der Regierungskoalition ist; da kann die Oppostion angreifen, was im Fernsehformat immer gefordert ist, da wird ausgeglichen, dass in der aktuellen Fernseh-Berichterstattung der Kanzler und sein Kabinett mehr Präsenz verbuchen. Insgesamt wurden in die drei Talk-Sendungen mehr Mitglieder von Union und FDP eingeladen als von der SPD und den Bündnisgrünen. Und hätte Verbraucherministerin Renate Künast nicht eine Reihe von Skandalen (Pestizide in Öko-Lebensmitteln, Antibiotika in Garnelen) zu bewältigen gehabt, wären Vertreter ihrer Partei noch seltener auf einem Talksessel gelandet. Für den Star der Bündnisgrünen, Außenminister Joschka Fischer, kann gelten: Er scheint kein Freund des Fernsehgenres zu sein, so selten, wie er auftaucht. Und der Bundeskanzler? Wenn Gerhard Schröder kommt, dann bitte solo, was seinem herausgehobenen Regierungsamt wohl angemessen ist. Dass nicht jeder Politiker die notwendige Bildschirm-Qualität besitzt, lässt sich an der PDS ablesen: Die Vorsitzende Gabi Zimmer kann Gregor Gysi nicht ersetzen.

Frauen jedenfalls werden in Deutschland eher Talk-Moderatorinnen als Spitzenpolitikerinnen und damit Teilnehmerinnen der Politshows. Unter den elf Spitzengästen sind gerade mal zwei Frauen – Renate Künast und die CDU-Vorsitzende Angela Merkel.

Die Talkrunde beim Berliner Nachrichtensender läuft ebenso am Sonntagabend wie „Sabine Christiansen“. Der ARD-Talk zieht von allen drei Live-Sendungen das größtePublikum auf sich, 2002 waren das im Schnitt fünf Millionen Zuschauer. Entsprechend sind beim „Talk in Berlin“ meistens keine Führungspolitiker der Parteien zu Gast. „Viele Politiker achten auf die Einschaltquoten der Sendung und wählen die entsprechende Talkshow für sich aus“, sagt Ira Bergmann, Redaktionsleiterin der Sendung. Ihrem Team gehe es hauptsächlich darum, dem Zuschauer „die Kontroverse des Themas“ nahe zu bringen. „Dazu sind nicht immer Spitzenpolitiker notwendig. Entscheidend ist, dass die Leute zum Thema passen“, sagt Bergmann.

Bei den Konkurrenz-Shows der ARD und besonders des ZDF sieht das etwas anders aus. Bei „Berlin-Mitte“ in der Moderation von Maybrit Illner ist die Politiker-Dichte am größten. Während die ZDF-Moderatorin den FDP-Chef Westerwelle und den SPD-Mann Franz Müntefering im Jahr 2002 sechs Mal begrüßen durfte, hatten bei „Christiansen“ beide jeweils vier Auftritte. Bei „Berlin- Mitte“ macht eindeutig die Politik die Show. „Wir sind bemüht, hochkarätige Leute einzuladen. Und eine Frau Merkel sagt bei aktuellen Themen gerne zu, wenn es ihr Terminkalender zulässt“, betont Doris Schröder, Pressesprecherin von „Berlin-Mitte“.

„Es ist vor allem wichtig, flexibel zu bleiben und sich nicht an einem Thema festzubeißen“, sagt Michael Wedell, Pressesprecher bei „Sabine Christiansen“. „Es kommt öfter vor, dass am Wochenanfang drei Themen recherchiert werden, bis dann Mitte der Woche das endgültige Thema feststeht, weil es sich als das beste herauskristallisiert.“ Häufig sind es dann dieselben Themen wie bei den anderen Sendern: Jahrhundertflut, der Amoklauf von Erfurt oder der Streit um das Zuwanderungsgesetz. Und das Wunder deutscher Politik und deutscher Talkshows besteht dann worin? Dass der Politiker, wenn er erst einmal auf einem Talkstuhl Platz genommen hat, zu diesem, zu jenem und auch noch zum dritten Thema eine feste Überzeugung auszubreiten hat.

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