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Medien: Die innere Unsicherheit

Von Thilo Wydra „Toter Mann“ nennt man das, wenn sich jemand auf der Wasseroberfläche treiben lässt. Ein lebloses Gleiten ist das, und, wenn’s jemand gut kann, könnte man glatt hineinspringen, um zu helfen.

Von Thilo Wydra

„Toter Mann“ nennt man das, wenn sich jemand auf der Wasseroberfläche treiben lässt. Ein lebloses Gleiten ist das, und, wenn’s jemand gut kann, könnte man glatt hineinspringen, um zu helfen. Auch Leyla (Nina Hoss) spielt „Toter Mann". In einem Schwimmbad. Irgendwo in Stuttgart. Es ist Sommer. Und sie wird beobachtet.

Thomas (André Hennicke) heißt er. Thomas ist Rechtsanwalt. Geordnet geht es in seinem Leben zu. Jeden Morgen geht er vor der Arbeit Schwimmen, zieht seine Bahnen. Thomas’ Leben ist ein Leben der Klarheit. Doch von Leyla weiß er nichts, nur als sie ein Buch im Bad fallen lässt, da hebt er es auf, gibt es ihr, sie sprechen kurz. Und der Rechtsanwalt, der deutlich älter ist, verliebt sich in die unbekannte Schöne. Das ist der Anfang der Katastrophe. Sie verbringen eine Nacht miteinander, reden, trinken. Am nächsten Morgen dann ist sie fort, spurlos verschwunden. Doch der Stachel sitzt längst in Thomas’ Fleisch, und es treibt ihn an, Leyla zu suchen, überall, irgendwie – nur finden muss er sie. Leyla hat die Stadt gewechselt, sie arbeitet nun in einer Kantine einer Fabrik.

Aber darauf kommt es ihr nicht an. Wichtiger ist, dass hier auch Blum (Sven Pippig) arbeitet, Blum, der ein Mörder ist. Resozialisieren muss sich der korpulente, gutmütig wirkende Unhold nun, nachdem er 14 Jahre Psychiatrie und Gefängnis hinter sich gebracht hat. Blum, das ist auch der Klient von Thomas. Und der ahnt nun, was Leyla von Blum wirklich will.

Christian Petzold ist einer, der einem im Gespräch sehr genau zuhört und auch ebenso genau antwortet. Manchmal, will man meinen, ist seine Wortwahl akribisch. Sehr klar sind seine Formulierungen, ohne ausschweifendes Geschwafel. So sind auch seine Filme, so ist „Toter Mann“ (Arte, heute, 20 Uhr 45 und am 3. Juni im ZDF, 20 Uhr 15), so ist auch seine vielfach preisgekrönte „Innere Sicherheit“ (2000).

Der 41-jährige Regisseur und Autor, der mit 27 seinen ersten Kurzfilm drehte, dürfte als einer der viel zu wenigen Hoffnungsträger des deutschen Kinos gelten, und mit „Toter Mann“, seinem fünften Langfilm, legt er nun einen Fernsehfilm vor, der auf der großformatigen Leinwand ungleich besser aufgehoben wäre. Dort, wo aus Deutschland nur noch Filme mit Titeln wie „Harte Jungs“ oder „Knallharte Jungs“ geboten werden, dort hätte ein so meisterlich inszeniertes Kammerspiel wie Petzolds jüngste Arbeit Seltenheitswert.

Doch dieser Paradigmen-Wechsel zwischen Fernsehen und Kino hat längst eingesetzt. Längst schon läuft im Kino das, was man aus dem Angebot der Privaten kennt, und längst laufen im Fernsehen jene Filme, die früher einmal direkt ihren Weg auf die Leinwand gefunden hätten. Petzold: „Mir war wichtig, dass es eine Kopie dieses Films gibt, und ich ihn im Produktionsprozess auch behandeln konnte wie einen Kinofilm.“

Und tatsächlich hat Petzold, wie er selbst sagt, an diesem Film, der etwa 1,2 Millionen Euro kostete, gearbeitet, als wäre er fürs Kino. Und das sieht man seinem „Toten Mann“ auch an: Die Bilder von Kameramann Hans Fromm sind klar gehalten, geradezu geometrisch und kalt – in ihrer äußeren Reduktion konzentrieren sie sich ganz auf das Innere. Keine Explosionen, nein, Implosionen sind hier zu „sehen". Implosionen von Menschen, die dem Druck ihres Schicksals beinahe nicht mehr Stand halten können. Innere Spannung, Zerrissenheit – das macht gerade die von Nina Hoss mit einem Höchstmaß an Präzision interpretierte Leyla aus.

Petzold steht mit diesem Film ganz in der Tradition der Nouvelle Vague. Und, natürlich, die Anleihen bei Antonioni, auch bei Hitchcock, sie sind unübersehbar. Da erzählt jemand, dessen Sehen verwurzelt ist in einer Tradition, die vielen Anderen inzwischen gänzlich unbekannt scheint. Dem Petzoldschen Erzählen tut dies nur gut. „Toter Mann“ ist gleich ein dreifaches Seelenportrait, und alle drei, Leyla, Blum und Thomas, phobienbehaftet und besessen, alle drei sind sie auf der Suche nach etwas. Sie sind überall auch fremd, wandern durch die Welten. Drei Wanderer in einem ganz merkwürdig anmutenden, bleiernen, fast gesichtslosen Deutschland, das er wie so ganz nebenbei kritisch beleuchtet. „Filme haben Fragen zu stellen“, sagt Petzold. So viel ist sicher: Die Filme dieses Regisseurs stellen jede Menge Fragen, lassen aufgewühlt zurück.

„Toter Mann“ ist ein leises Drama, eines, das ganz still in sich lebt, ohne technische Mätzchen daher kommt. Ein Drama der Askese. Kurzum: Christian Petzold hat mit „Toter Mann“ ein nach Kino schreiendes Fernseh-Meisterwerk geschaffen.

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