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Medien: Die Spionin, die von der FU kam

Beeindruckendes Dokudrama über die Publizistin und Amnesty-Deutschland-Gründerin Carola Stern

Das Dokudrama ist ein heikles Gebiet, man weiß das. Menschen werden gedoubelt, und zwar gleich mehrfach. Archivmaterial wird mit Spielsequenzen zusammengeschnitten, und raus kommt am Ende ein Kuddelmuddel, in dem der Zuschauer die Orientierung verliert und die Bildästhetik ihre Einheitlichkeit. Immer wieder warnt die Kritik vor dieser Technik. Doch das schreckt die Macher nicht ab. Zu verführerisch ist die Idee, ein historisches Ereignis szenisch nahe ranzuholen, ohne doch die Distanz der dokumentierenden Reflexion aufzugeben. Mit der Zahl der Versuche verfeinern sich die Mittel. Und so klappt es immer öfter mit dem Dokudrama.

Thomas Schadt hat bei seinem Film „Carola Stern“ einen Trumpf in der Hand, und das ist Carola Stern: die bedeutende WDR-Journalistin, Gründerin der deutschen Sektion von „Amnesty International“, die sich vor drei Jahren als ehemalige US-Spionin outete. Sie ist schon eine alte Dame, hat aber von ihrer Direktheit, die sich auf wunderbare Weise mit Skepsis paart, nichts verloren. Sie führt durch den Film, als sei er ein Traum, aus dem sie von Zeit zu Zeit geweckt würde, um ein paar Worte dazu zu sagen. Was sie mit einer Mischung aus Verwunderung und Amüsiertheit tut. Also, Breloer hatte bei seinem Thomas-Mann-Film nur die Tochter seiner Zentralfigur zur Hand, Schadt hat die Porträtierte selbst, und das ist natürlich ein großer Vorteil.

Er machte wett, dass wir Stern in diesem Film gleich fünfmal haben: gespielt als Kind, als junges Mädchen, als junge und als reife Frau und dann noch in echt. Dass es doch nicht so ganz einfach ist, diese vielen Sterne als Verkörperung immer derselben Person zu akzeptieren. Dass auch einige der Szenen arg hölzern gerieten wie beispielsweise Stern – damals noch Erika Assmus geheißen – vor einer Prüfungskommission der SED oder später an der West-Berliner FU bei einem Professor für DDR-Forschung, der seine bürgerlich-brave Assistentin in einen Edelpuff mitschleift. Aber egal, die echte Stern versöhnt mit all den Quasi-Sterns, und die Geschichte des Doppellebens, die da entlang ihrer Biografie erzählt wird, ist spannend wie ein richtiger Thriller. Was heißt hier „wie“? Es ist ein Thriller.

Das junge Fräulein Assmus wird nach dem Krieg Lehrerin in Berlin; ein Amerikaner ködert sie mit echtem Kaffee und guten Worten für Spitzeldienste im Osten der Stadt. Sie soll sich für die Parteihochschule der SED bewerben und dann dort deren „Struktur“ ausforschen. Zuverlässig erledigt Assmus jeden Auftrag – bis man ihr auf die Schliche kommt und sie gerade eben noch verduften kann. Für einen Neuanfang als Journalistin und auch weil sie die Rache der SED fürchten muss, wählt sie einen „Nom de plume“. Erst unterschreibt sie mit Sternchen, dann nimmt sie das Wort als Namen. Die Kennerin von Partei und Ideologie der DDR wird oft geholt, wenn man im Westen Einzelheiten wissen will. Und beschimpft: als „Politnutte der DDR“. Dennoch: Sie macht sich einen Namen als Journalistin.

Es sind nicht nur DDR-Interna, die man von ihr haben will, sie hat auch was zu sagen zu Fragen der Nation und zur Lage der Frauen. Als sie im Rundfunk die Emanzipation propagiert, kriegt sie massive Schwierigkeiten. Dass es hierzu noch Archivmaterial gibt, ist ein weiterer Glücksfall. Befragt, ob sie, deren Kindheit vom Nationalsozialismus und deren Jugend vom Nachkrieg verdüstert wurden, sich als Opfer der Umstände fühle, verneint sie entschieden. Opfer waren andere. Sie hat nur manches nicht kennen gelernt, was zu den Privilegien der jungen Jahre zählt. Was das denn sei? Sie überlegt. „Unbekümmertheit und Leichtigkeit.“

Carola Stern zu zeigen, wie sie sich von der „Rote-Haare-Sommersprossen“ -Göre zur Jungmädelführerin und von da zur Lehrerin, Spionin und Journalistin mausert, und das auch noch mit vier verschiedenen Schauspielerinnen, das war nicht einfach. So muss der Drehbuchautorin Gabriela Sperl das Kompliment gemacht werden, den komplizierten Stoff in eine gute Ordnung gebracht zu haben. Auch wer zu jung ist, um sich an das besetzte und geteilte Berlin zu erinnern, kann die Geschichte dieser Frau zwischen den Fronten des Kalten Krieges nachvollziehen. Nein, von Unbekümmertheit konnte keine Rede sein. Aber heute, sagt Stern, hat sie gefunden, was ihr damals fehlte.

„Carola Stern – Doppelleben“: Sonntag um 15 Uhr 45 auf Arte

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