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Medien: Die Trendschnüffler

Zehn Jahre „Polylux“ und „Tracks“: Wie die Produktionsfirma „Kobalt“ versucht, den Zeitgeist einzufangen

Es ist ruhiger als erwartet. Nirgendwo Musik, kein Messie-Schreibtisch, nicht eine zerdrückte Energydrinkdose. Der froschgrüne Samtanzug von Geschäftsführer Stefan Mathieu ist das Wildeste, was dem Besucher bei „Kobalt Productions“ auffällt. Dabei entstehen hier, in Berlin-Mitte, „Polylux“ und „Tracks“, zwei der schrägsten TV-Formate, die das öffentlich-rechtliche Fernsehen hergibt. Beide Magazine werden in diesen Tagen zehn Jahre alt, genauso wie ihre Produktionsfirma „Kobalt“.

Mit Stefan Mathieu zusammen verantwortlich für den Erfolg von „Kobalt“: Tita von Hardenberg, noch bekannter als „Polylux“-Moderatorin. Beide arbeiteten bereits zusammen, als sie 1997 „ihr Baby“, die Produktionsfirma, gründeten. Hardenberg moderierte damals das Stadtmagazin „Tip TV“, Mathieu war Produktionsleiter. So ist die Arbeitsteilung auch heute noch. Nur eben bei „Polylux“. Seit 22. April 1997 läuft das sogenannte „Zeitgeistmagazin“ und wird seitdem geliebt oder gehasst.

Gerade über Tita von Hardenbergs Moderation wird oft und gerne gestritten. Sie ist nicht lässig wie Charlotte Roche und manchmal zu weit weg von den trashigen Themen der Sendung. Doch eines muss man „Polylux“ lassen: anders zu sein. Wo sonst im öffentlich-rechtlichen Fernsehen darf ein nuschelnder Frührentner namens Manfred Dumke, kurz „Manne“, frei nach Schnauze über Partydrogen schwadronieren oder den dritten Weltkrieg prophezeien? Der rasende Satire-Reporter Carsten van Ryssen vergleicht in seiner „Rede an die Nation“ Rentner mit rumänischen Teppichhändlern oder beweist in Interviews mit arglosen Berlinern, wie unterhaltsam purer Schwachsinn sein kann. 750 000 Zuschauer wollen das im Schnitt sehen, ein Marktanteil von acht Prozent, genauso viel in der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen wie bei „Harald Schmidt“, der donnerstags direkt vor „Polylux“ läuft.

Oft wird kritisiert, „Polylux“ wäre ein Hauptstadtmagazin und vernachlässige Zuschauer in Stuttgart, München oder Köln. Es drehe sich zu häufig um Berliner Trends, Clubs, Restaurants, Cafés, Modeläden, Friseur- und Piercingstudios. „Unsere Teams sind jede Woche bundesweit unterwegs. Aber wir stehen dazu, dass wir aus der Hauptstadt senden. Hier entwickeln sich die meisten wichtigen Trends. ,Polylux‘ kann nur hier entstehen“, sagt die 38-jährige von Hardenberg.

Was sind das eigentlich für Leute, die Woche für Woche ein „Zeigeistmagazin“ produzieren? „Bei uns arbeiten Freaks, die die Independent-Musikmagazine ,Spex‘ und ,Intro‘ verinnerlicht haben, die Musik atmen und dafür leben“, sagt die leitende Redakteurin Janin Renner. Die „Freaks“ tragen Pony, Röhrenjeans und rote Plastikketten. Doch auch sie sind mit „Kobalt“ älter geworden. Verkaterte Jungredakteure sucht man vergebens. Die 41-jährige Renner hat „früher den Wecker auf fünf Uhr morgens“ gestellt, um zur Afterhour in den Club zu gehen. „Heute, um die Kinder in den Kindergarten zu bringen.“

Damit sich in den Jahren keine Szene- und Betriebsblindheit einstellt, helfen junge Trendsetter, DJ’s und verschiedene Label. Insgesamt arbeiten auf 780 Quadratmetern 30 Festangestellte bei „Kobalt“. Die Firma macht vier Millionen Jahresumsatz. Eine strikte Trennung zwischen „Polylux“- und „Tracks“-Redaktion gibt es nicht, man versteht sich als großes Team. Dazu zählen auch die Kollegen aus Paris, wo „Tracks“ im Wechsel mit Berlin produziert wird. „Tracks“ ist, anders als MTV-, VIVA- oder „The Dome“ (RTL) ein von der Plattenindustrie unabhängiges Musikmagazin. Überdreht, laut, progressiv, mitunter anstrengend abstrus weht mit „Tracks“ seit zehn Jahren ein Hauch Untergrund-Kultur durchs Fernsehen. Tracks ist „Spex“ in Bewegung, Musik-Futter der Subkultur. DJ und Label-Chef Daniel Best sagt: „Tracks ist die einzige Musiksendung, die sich wirklich mit Musik auseinandersetzt.“

Das ist beim arrivierten Musikkanal MTV schon lange nicht mehr der Fall. Interviews mit Stars auf Augenhöhe, wie sie die MTV-Urgesteine Steve Blame oder Ray Cokes in den späten Achtzigern geführt haben, gibt es nicht mehr. Mit „Spin“ wurde Ende 2005 das letzte MTV-Musikmagazin abgesetzt, das sich auch mal neben die Mainstream-Pfade traute. Heute dudeln bei MTV vor allem Klingeltöne anstatt unbekannter Bands. Lieber nichts riskieren, es geht um Quote. Bei „Tracks“ steht die Quote hintenan, 120 000 Zuschauer pro Sendung, ein Marktanteil von 1,5 Prozent, alles lächerlich gering. Dafür gibt es Porträts von Bands wie „The Darkness“, lange bevor sie bekannt werden, von „Breakastra“, der Funk- und Soulband, oder ein Interview mit dem „Wunderkind des japanischen Horrorfilms“, Regisseur Kyoshi Kurosawa. Für Beiträge wie „Punk in Indonesien“ reisen „Tracks“-Redakteure um die Welt. Wird über den in Israel lebenden arabischen Schauspieler Yousef Sweid berichtet, geht es vor allem darum, wie der Soap-Star an Grundfesten der israelischen Gesellschaft rüttelt. „Tracks“ hat immer einen zweiten Boden und ist damit das Überbleibsel des Fernsehmusikjournalismus.

„Wir haben eine große Freiheit. Nur manchmal stoßen wir an Grenzen“, sagt Tita von Hardenberg. Wenn es um Graffiti, Drogen, Ballerspiele oder zu viel Sex geht, muss im öffentlich-rechtlichen Fernsehen aufgepasst werden. Ein Joint im Bild ist kritisch, genau wie die pornografisch angehauchten Fotos von Terry Richardson. Und dass Hintergrundberichte nicht jeden in der Szene freuen, ist klar. 1999 warnte die Plattenindustrie mit der „Copy-kills-Music“-Kampagne vor dem CD-Brennen. Jugendliche wurden wie Schwerverbrecher dargestellt, auf RAF-artigen Fahndungsplakaten mit falschen Raubkopierervisagen. „Tracks“ nahm die Kampagne mit einer Glosse aufs Korn. Prompt kam ein Anruf von Bernd Dopp, Chef von Warner Music Germany. Ein Jahr erhielt „Tracks“ keine Interviews mit Künstlern seines Labels wie den Red Hot Chili Peppers.

„Es gibt viel zu wenige kritische Musikbeiträge. Wir scheuen es nicht, uns auch mit einem großen Label anzulegen“, sagt die „Kobalt“-Mitarbeiterin und Musikjournalistin Birgit Herdlitschke. Doch bei „Tracks“ und „Polylux“ geht es nicht nur um Trends, sondern auch um Grund- und Lebensfragen. Es gibt Sendungen über Melancholie oder das Altern im Popzirkus. Und wie gehen „Zeitgeist“-Redakteure selbst mit dem Älterwerden im Kreis hipper Trendschnüffler um? „Popkultur ist Teil der Gesellschaft geworden. Dadurch wird man auch entspannter älter“, so die 41-jährige Herdlitschke. Und Stefan Mathieu, der Mann im grünen Samt sagt: „Wer ständig mit jungen Themen zu tun hat, kommt gar nicht dazu, älter zu werden.“

Yoko Rückerl

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