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Lebenslänglich. Auch der junge Schmidt, gespielt von Ludwig Blochberger, rauchte schon gern und viel. Foto: ARD

© NDR/Trebitsch Entertainment/Sand

Doku zum 95. Geburtstag: Rauchen als Haltung

"Helmut Schmidt - Lebensfragen" ist ein Porträt der hanseatischen Art. Aber auch die Melancholie fehlt nicht.

Mentholzigarette folgt Mentholzigarette. Es qualmt in der ersten Einstellung und in der letzten auch. Im Keller seines Hauses sollen große Vorräte dieser auf Kühle getrimmten Glimmstengel liegen. Gesundheitsapostel können ihn mal.

Aber wer „Helmut Schmidt – Lebensfragen“, diese ergreifende Lebensreise in der ARD begleitet, kann als Zuschauer erkennen: Rauchen schadet meistens der Gesundheit, ist aber bei einem wie Schmidt auch eine Haltung zur Welt, mehr als bloß nervöse Sucht. Das Glimmen, das Einsaugen, das Ausstoßen des blauen Dunstes ist Schutz gegen den Terror der Ausfragerei, gegen alles Unüberlegte, das das Fernsehen so gerne in seinem Rohzustand einfangen würde. Rauchen aber nötigt dem Medium einen Moment der Unsichtbarkeit ab, die sich im Inneren des Befragten abspielt. Komisch: Der blaue Dampf ist ein Mittel gegen alle Dampfplauderei.

Es ist natürlich nicht so, dass einer wie Schmidt mediale Jägerei fürchten müsste. Er, der am heutigen Montag 95 Jahre alt wird, lebt auf einem Gnadenhof. Er hat das verdient. Giovanni di Lorenzo, der „Zeit“-Chefredakteur, stellt seinem Herausgeber – für den Zuschauer unsichtbar – Fragen, aus deren Ton man heraushört, dass alle Keckheit, dieser Branchenfetisch, gestrichen ist. Da ist aber auch keine Devotion zu spüren, sondern die Sorge um die Vergänglichkeit einer Vaterfigur. Und, ja, Melancholie.

Da dieser Film richtigerweise als Dokufiktion geplant war und nicht als Ethikseminar, fallen die gespielten Szenen als angenehm zurückhaltend und als unspekulativ auf. Drehbuchautor Sebastian Oriac, Regisseur Ben von Grafenstein, ein Schauspieler Ensemble mit Jung-Helmut (Ludwig Blochberger) und Jung-Loki (Britta Hammelstein), dem Paar der mittleren Aufstiegsjahre (Bernhard Schütz, Bibiana Beglau) und dem rührenden Philemon-und-Baucis-Alten-Spiel (Peter Striebeck, Hildegard Schmahl) können dem 95-Jährigen nicht die Show stehlen. Sie wollen es auch nicht. Denn er lebt und wundert sich, wie merkwürdig es sei, seinem Leben in gespielten Szenen wiederzubegegnen. Ein großes Lob für die Macher, Enthusiasmus auf Hanseatisch.

So entfaltet sich ein deutscher Bilderbogen eines langen Lebens. Eine Kindheit mit den zeittypischen Narben der schwarzen Pädagogik (Fahrradfahrenlernen ohne getrocknete Knabentränen), die Unmöglichkeit des HJ-Beitritts, weil Vater, ein strenger Lehrer, Helmuts jüdischen Großvater verheimlichen muss. Es folgen: Liebe (Loki, nicht die erste Damenwahl, aber die richtige) in den Zeiten des Hitlerkrieges, die Tapferkeitssehnsucht des Ostfrontoffiziers Schmidt, die ins Trauma führt, die SPD-Karriere des in die Politik gehenden jungen Mannes, der gerne Architekt geworden wäre, das ruhm- und weniger ruhmreiche Reifen zum Machtmenschen, der die Nordsee – zu besiegen versucht, der Brandt beerbt, der in seiner Kanzleramtszeit den harten Landgrafen gegen die Terroristen geben muss, den die FDP später stürzt, der erst im Alter, unermüdlich und schroff mit und gegen die Medien, eine Fortbildungsstätte aufmacht, in der das Leben als Erfüllung von für richtig erkannte Pflichten erklärt wird. Und der seitdem nicht im Herzen, aber im Überich der Deutschen wohnt.

Dieser Hanseatenfelsen ist und bleibt ein harter Brocken. Ihn umgibt eine mediale Erhabenheit, die sich nur ausnahmsweise und versteckt menschelnd aufbrechen lässt. Zum Beispiel dann, wenn er von seinem verlorenen Musikgehör spricht und zugibt, sich in der Woche ein paar Mal ans Klavier zu setzen, und keiner, er inklusive, kann oder darf zuhören. Wenn er auf die Frage, ob er mit Loki spricht, mit der er 68 Jahre verheiratet war, in eine Séance mit sich selbst versinkt, dann könnte Mitleid beim Zuschauer über Alter und Einsamkeit entstehen. Aber keine Chance.

Die Mentholzigarette flammt auf. Und der Zuschauer dankt für großes Fernsehen. Nikolaus von Festenberg

„Helmut Schmidt – Lebensfragen“, ARD, Montag, 21 Uhr 45

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