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Medien: Ein standhafter, unabhängiger Geist

Peter Boenisch ist am Freitag im Alter von 78 Jahren gestorben / Ein Nachruf von Claus Larass

Manchmal sah man ihn am Tegernsee im Auto sitzen, zwischen zwei Terminen schrieb er einen seiner populären Kommentare. Wenn die Zeit drängte, schrieb er auch im Restaurant, dann nahm er die Rückseite der Speisekarte oder eine Papierserviette. In den letzten Wochen schrieb er im Krankenbett. Er schrieb häufiger als sonst. Er wusste, dass er bald sterben würde.

Peter Boenisch, von allen nur „Pepe“ genannt, hatte den Krebs zu spät erkannt, starb am Freitagmittag mit 78 Jahren am Tegernsee. Er hat alles gehabt im Leben und manchmal mehr, als ihm lieb war. „Ich bin wie ein Liftboy“, sagte er einmal, „mal geht es nach oben und dann wieder hinab.“ Zwischenstationen gab es selten. Mittelmaß gab es nie.

Mit 17 erhielt er als Fallschirmjäger das Eiserne Kreuz an der Front gegen die Russen, mit 77 das Große Bundesverdienstkreuz für die Aussöhnung mit Russland. Unter Axel Springer wurde er zu einem der bekanntesten Journalisten in Deutschland, die Nachfahren warfen ihn in einer würdelosen Aktion aus dem Haus. Als Regierungssprecher gab er der Regierung Kohl Weltläufigkeit und Glanz, ein Steuerverfahren zwang ihn nach 18 Monaten zum Rücktritt. Seine Freunde blieben ihm das Leben lang verbunden, die Gegner wechselten, in jeder Lebensphase waren es andere, geringe waren es nie: Erst die gesamte Studentenbewegung von 1968, dann schrieb Heinrich Böll den dünnen Band „Bild,Bonn, Boenisch“, in den letzten Jahren misstrauten ihm eher Teile der Konservativen.

Peter Boenisch wurde am 4. Mai 1927 in Berlin geboren. Seine Mutter war Russin, sein Vater Ingenieur. In Berlin besuchte er die Hugo-Eckener-Schule. Immer, wenn ein Problem auftauchte, zitierte Boenisch seinen Vater, an dessen Hand er als Kind zum „Adlon“ speisen ging. Berlin blieb seine Sehnsucht. Sie blieb unerfüllt, obwohl er hier oft lebte. Vermutlich war es nicht so sehr die Stadt, sondern die Erinnerung an die Kindheit. Eine Sehnsucht, die sich nicht stillen lässt. Als er mit 70 zum ersten Mal Vater wurde, kaufte er sich am Botanischen Garten ein Haus, auch seine Kinder sollten in der Stadt leben, wo er Kind war. Bis zum Frühjar dieses Jahres war er Präsident des Union- Klubs. Er hat die Galopprennbahn Hoppegarten vor der Pleite gerettet.

In seiner Karriere spiegelt sich die deutsche Nachkriegszeit wieder. Die Menschen waren hungrig auf ein neues Leben, sie wollten anpacken. Und sie waren jung. Rudolf Augstein gründete mit 24 in Hannover den „Spiegel“, Axel Springer mit 35 seinen Verlag. Peter Boenisch schrieb mit 18 für die damals in Berlin erscheinende „Allgemeine Zeitung“, bekam seinen ersten Chefredakteursvertrag mit 22 in Rendsburg, übernahm mit 28 Jahren die „Revue“ in München, gründete die Jugendzeitschrift „Bravo“ und war erst 34, als ihn Axel Springer mit der Leitung der „Bild“ betraute. Das Raubtier „Bild“ hatte seinen Dompteur gefunden.

Das Massenblatt war schon vor ihm groß, durch ihn erhielt es seinen Charakter. „Der Mond ist jetzt ein Ami“ titelte Boenisch nach der Mondlandung der Amerikaner. Die Auflage kletterte auf über vier Millionen hoch, Boenisch bevorzugte anfangs die leichten Themen. Kaiserin Soraya bewegte damals die Deutschen, auch die Stars von Hollywood. Mitte der 60er Jahre änderte sich das Klima in Deutschland. Die CDU verlor an Einfluss, die SPD wurde hoffähig; sie ließ sich nicht mehr als verlängerter Arm des Kreml diskriminieren („Ollenhauer säht, und Moskau erntet“). So viele junge Menschen wie nie zuvor drängten in Schulen und Universitäten und stellten die fast schon heilig gewordene Nachkriegsordnung in Frage: „Unter den Talaren der Muff von 1000 Jahren“.

In diesen Jahren vollzog sich der Bruch des Medienkonzerns mit einem großen Teil der Gesellschaft. Lag es an der zunehmenden Isolierung Axel Springers, an der Verletzung seines ästhetischen Anspruchs durch die Demonstranten, oder gehört es zum Wesen eines Massenblatt-Verlages, dass er alles Neue erst einmal ablehnt, weil das vermeintliche Volk auch eher beharrend ist? Man prügelte munter aufeinander ein. Für „Bild“ waren die Studenten „Jungrote“, „politische Spinner“ oder einfach „Krawall-Studenten“. Die Demonstranten forderten „Enteignet Springer“ und trafen damit vermutlich den empfindlichsten Nerv des Verlegers. Die Folgen des Konfliktes sind bekannt. „Bild“-Fahrzeuge gingen in Flammen auf, die Zentrale in Berlin wurde belagert, im Hamburger Springer- Haus explodierten später zwei Bomben.

Die Auflage ging zurück, und Peter Boenisch gab Anfang der 70er Jahre seinen Chefposten ab. Er bekannte sich auch später zu diesem Abschnitt seines Lebens. Er habe sich immer mit seinem Namen zu allem bekannt, was da zu lesen war, und – das war für ihn wichtig – er sei von den meisten seiner Gegner später respektiert worden, weil er ideologisch nicht verbohrt gewesen sei. Man kann noch weiter gehen: Peter Boenisch genoss in den nächsten Jahrzehnten hohe Achtung nicht nur bei Journalisten, sondern bei Politikern aller demokratischen Parteien und bei der Wirtschaftselite. Die nächsten Posten erscheinen im Rückblick eher als Episoden, obwohl sie für ihn wichtig waren. Als Chefredakteur der „Welt“ versuchte er das verstaubte Blatt zu modernisieren, bei „Bunte“ gab er ein kurzes Gastspiel. Anerkennung erhielt er, weil man seine Persönlichkeit schätzte, seinen unabhängigen Geist, seine Standfestigkeit. Seine Kommentare und Glossen zeigten jetzt seine wahre Größe und seine Urteilskraft.

1998 heirate Peter Boenisch in dritter Ehe am Tegernsee die Journalistin Julia Schramm. Da war er 70 Jahre alt. Zwei Töchter wurden geboren, Nanja-Maresa und Nika-Luna. Eine Ehe voller Liebe und ein Vater, der mit kaum verhüllter Zärtlichkeit über die Erlebnisse mit seinen Kindern erzählte.

Das schier Unfassbare: Im vergangenen Jahr stirbt Julia Boenisch bei einem kurzen Krankenhaus-Aufenthalt. Peter Boenisch verlegt seinen Lebensmittelpunkt von Berlin an den Tegernsee, um seinen beiden kleinen Töchtern Heimat und das Gefühl von Vertrautheit zu geben. „Mit 70 bin ich Vater geworden, und mit 77 Mutter“, sagte er. Das sollte die übermächtige Trauer eindämmen; er wollte nicht bemitleidet werden. Dazu war er zu stolz. Er legte alle Ämter nieder, auch den Vorsitz des „Petersburger Dialog“. Michail Gorbatschow, sein Co-Vorsitzender, schrieb ihm: „Durch unser gemeinsames Wirken haben wir die Arbeit des Petersburger Dialogs – einer für meine und Deine Landsleute so wichtigen gesellschaftlichen Initiative – in Gang gebracht und uns dabei ausgezeichnet verstanden. Es ist verständlich, dass Deine Töchter jetzt viel mehr bekommen sollen. Aber – ich bin mir sicher – auch Du wirst dadurch neue Kräfte gewinnen. Ich umarme Dich!“

Der Publizist Claus Larass war Chefredakteur der „Bild“-Zeitung und Zeitungsvorstand der Axel Springer AG.

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