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Medien: Eine Liebesgeschichte in 200 Kapiteln

Das ZDF dreht die erste deutsche Telenovela. Ein Jahr lang ist für Tanja Wedhorn jeder Tag ein Drehtag

Komisch ist es schon: Die zukünftige Heldin einer täglichen Fernsehgeschichte besitzt im wahren Leben keinen Fernseher. Fernsehen langweilt sie, man kann so viele andere Sachen machen, sagt sie. Genau. Zum Beispiel fürs Fernsehen arbeiten. Das macht die Schauspielerin ohnehin und demnächst eben noch eine Spur intensiver. Tanja Wedhorn heißt die junge Dame. Zu sehen war sie bisher in Rosamunde-Pilcher-Verfilmungen, in der ZDF-Serie „Nesthocker“ und in „SK Babies“ auf RTL. Sie probiert vieles aus, ist sich für nichts zu schade und steht auf dem gesunden Standpunkt: „Lernen kann man immer was.“ Ihr Name ist noch nicht allzu bekannt, das könnte sich allerdings bald ändern. Schließlich wird Tanja Wedhorn ab Spätherbst, auf den genauen Sendebeginn mag sich das ZDF noch nicht festlegen, täglich auf dem Bildschirm zu sehen sein. Und zwar jeden Nachmittag, von montags bis freitags, von 16 Uhr 15 bis 17 Uhr. Geplant sind 200 Folgen von „Bianca – Wege zum Glück“. Nur Weihnachten gibt es eine kleine Pause.

Um was geht es, was ist eigentlich eine Telenovela? Die Vorgeschichte ist rasch erzählt: Das ZDF plant den Großangriff auf den Nachmittag: Gartenlaube statt Landarzt-Wiederholungen. „Frauen-affines Programm“ heißt das in der Sendersprache. Schließlich sind Frauen die Zielgruppe. Das ZDF entwickelt seit gut einem Jahr die erste deutsche Telenovela im Stile südamerikanischer Vorbilder, zugeschnitten auf deutsche Verhältnisse. Gedreht wird in der Umgebung Berlins und im Studio Babelsberg. „Man muss sich das Ganze wie einen großen TV-Roman vorstellen, eine abgeschlossene Liebesgeschichte, erzählt in 200 Kapiteln“, sagt Alexander Ollig, einer der „Bianca“- Redakteure. Praktisch sieht das so aus: Zehn Autoren arbeiten an den Drehbüchern, es gibt einen Haupt- und vier Neben-Regisseure.

In Südamerika gelten Telenovelas als Straßenfeger – ein Wort, das man hierzulande kaum mehr mit Fernsehen in Verbindung bringen würde. Brasilien sitzt täglich vor der Glotze und leidet mit seinen Helden. Oder lacht mit ihnen. Oftmals sind die Schauspieler geradezu erschütternd schlecht, das macht die traurigste Novela wiederum recht lustig. Es geht um Liebe und Leid, Reich und Arm und wie sich das alles miteinander verbinden lässt. Das Besondere einer Telenovela ist: Das Personal ist ein Ensemble, alle Schauspieler bleiben bis zum Ende dabei. Jeder hat seine eigene Geschichte – und die wird erzählt. Natürlich gibt es am Ende jeder Folge eine Art Cliffhanger, aber nicht so dramatisch angelegt, dass man die nächste nicht mehr versteht, wenn man eine Folge verpasst hat. So kompliziert ist das Ganze dann nun auch wieder nicht .

Telenovela-Heldin Tanja Wedhorn kennt das genaue Drehbuch nicht, die ersten Bücher sind unterwegs, aber die Schauspielerin ist sich sicher: „Es wird eine gute Sache, ein tolles Format, was ganz Schönes. Ein verfilmtes Märchen.“ Daily Soaps wie etwa „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ oder „Verbotene Liebe“ hat sie noch nie gesehen. Die an der Berliner Hochschule der Künste ausgebildete Schauspielerin (von 800 Bewerbern werden zehn genommen) ist jung, hübsch, hat ein frisches, ungeschminktes Gesicht. Zum Interview lädt sie unbefangen in ihre leicht studentisch wirkende Wohnung in Berlin-Kreuzberg, die sie mit ihrem Freund, einem Politikwissenschaftler teilt, kocht mit Hingabe Milchkaffee und strahlt. Sie freut sich auf ihre neue Aufgabe und so wirkt sie auch. Wenngleich ihr schon ein wenig mulmig wird, je näher der Termin rückt. Daher, so erzählt sie, gibt es demnächst ein Abschiedsfest für die engsten Freunde. Denn für ein Privatleben bleibt der Hauptdarstellerin ab dem 26. Juli kaum Zeit. Jeden Morgen, um 5 Uhr 30, wird sie abgeholt, gedreht wird eine Folge pro Tag. Die Arbeitszeit endet gegen 20 Uhr. „Ich sehe das sportlich“, sagt sie und will sich durch Schwimmen und Joggen fit halten.

Ein Jahr Bianca. „Das einzige, was mich ein bisschen stört, ist ihr Name“, erzählt Tanja Wedhorn. „Ich verleihe dieser Figur ein Gesicht, bringe Papier zum Leben. Das ist meine Aufgabe.“ Das wird ihr bestimmt gelingen. Und dennoch wundert man sich: Was reizt eine Schauspielerin, die im Hamburger Thalia Theater gespielt hat, die als Julia auf der Bühne stand und offenkundig keine große Fernsehfreundin ist, an dieser modernen Aschenputtel-Saga? Ein Jahr hat sie sich immerhin verpflichtet, nichts anderes zu machen. Das stört sie nicht. Und außerdem, am Theater sei das nicht anders. „Man steht auch 60 Mal in derselben Vorstellung auf der Bühne und muss sich immer wieder ein Ziel suchen, die Kollegen überraschen. Sich selbst überraschen“, sagt Tanja Wedhorn. Oder ihren Freund, der seine Freundin lieber auf der Bühne als in der Glotze bewundert. „In Serien ist man immer festgelegt, man ist die zickige Anwältin oder die verwöhnte Tochter, aber diese Figur entwickelt sich. Ich habe einen Bogen zu spielen, werde im Laufe der Wochen und Monate erwachsen, sage und unternehme auch mal unpopuläre Dinge. Und ich kämpfe, das gefällt mir.“ Es ist der Reiz, nicht „verpilchert“ zu werden, sagt sie und erklärt, was sie damit meint. „Die Landschaft ist schön, die Kulissen stimmen, die Menschen sind nett angezogen, aber sie haben ihre kleinen Abgründe.“ Und ganz wichtig: „Es wird auch mal gelacht, bei Pilcher ist alles immer so ernst.“ Das mag sie überhaupt nicht. Sie ist witzig und schnell in der Unterhaltung, kann über sich selbst lachen, sie könnte also für diesen Stoff ein Glücksgriff sein. Viel darf sie nicht verraten, was ihr irgendwie Leid tut, schließlich gibt sie Interviews, in denen sie Interesse für das Format wecken soll, aber nichts sagen darf. Schwierig.

Quotendruck belastet sie hingegen kaum: „Wenn keiner guckt, ist es schade, aber kein Grund, keine Freude mehr am Leben zu haben.“ Tanja Wedhorn ist Realistin: „Ich weiß, dass dies keine Grimmepreis-verdächtige 3sat-Geschichte wird, aber es wird eine gute Arbeit.“ Die Schauspielerin kommt aus Witten im Ruhrgebiet, die Eltern haben ein Reisebüro, und die Tochter war schon bei der Handelskammer angemeldet. Dann kam alles anders. Inzwischen sind alle stolz, besonders die große Schwester auf ihre kleine, die als „die Verrückte“ in der Familie gilt. So verrückt wirkt sie gar nicht. Im Gegenteil. Ganz natürlich, sehr lebendig und charmant. Man schaut sie gern an und man hört ihr gern zu. Das sind keine schlechten Voraussetzungen für die nächsten Monate.

Und was ist mit ihrem Leben danach? „Da lege ich mich mal kurz aufs Ohr oder verreise eine Woche.“ Den Witz findet sie selbst gut. Nein, sie weiß ganz genau, was sie möchte: Eine Pause machen. Sie möchte ein Kind. Wie schön, fast wie in einer Telenovela.

Carla Woter

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