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Er ist nicht allein. Irina (Lana Cooper, l.) beobachtet, wie Sam (Ada Philine Stappenbeck) den zusammengeschlagenen Lennard (Christoph Luser) im Krankenhaus besucht.

© HR/Bettina Müller

Fernsehfilm "Dezember '17": Alle und alles sind miteinander verbunden

„Dezember ’17“: Mehrere Personen sehen zu, wie ein Obdachloser misshandelt wird. Der Film erinnert von der Machart an Robert Altmans Episodenfilm "Short Cuts".

Alles dreht sich um Lennard. Er ist der Kern der Erzählung und zugleich Handlungsantrieb aller beteiligten Figuren. Lennard (Christoph Luser) geht am Mainufer in Frankfurt entlang. Ein dunkler Dezemberabend, es ist kalt. Lennard ist obdachlos. Aus der Ferne kann er drei junge Männer sehen, wie sie auf einer der Bänke an der Uferpromenade sitzen. Die Jungs stellen sich ihm abrupt in den Weg und werden ihn daraufhin brutal misshandeln, alle drei. Lennard bricht zusammen und liegt bewusstlos am Boden. Er wird auf die Intensivstation kommen, wo er eine ganze Zeit lang im Koma liegt. Einer der drei macht von dem Bewusstlosen noch schnell ein paar Aufnahmen mit seinem Smartphone.

Schnitt. Anderer Erzählstrang. In einer Frankfurter Klinik wird gefeiert, im Anschluss nimmt Oberarzt Carl (Barnaby Metschurat) die Krankenschwester Irina (Lana Cooper) im Wagen mit und sie fahren auf einen Parkplatz am Mainufer. Der verheiratete Oberarzt und die Single-Krankenschwester haben seit einiger Zeit eine Affäre, im Auto haben sie Sex. Plötzlich hören sie merkwürdige Geräusche, bis sie schließlich realisieren, was am Mainufer geschieht. Irina will eingreifen, Carl lässt den Motor an, sie fahren weg. Er möchte nicht, dass sie sich als Zeugen melden, würde doch die Affäre auffliegen. Fortan begleitet Irina, was sie gesehen haben. Zumal just in ihrem Krankenhaus Lennard eingeliefert wurde .

Schnitt. Anderer Erzählstrang. Sam (Ada Philine Stappenbeck) streicht durch Frankfurt. Die sehr junge Frau ist obdachlos. Sie friert und sie hat Hunger. Aus den Mülltonnen eines Supermarktes holt sie sich etwas zu essen. Als sie bei anderen Obdachlosen an einem Feuer steht, um sich zu wärmen, legt sich einer der Männer mit ihr an, sie gerät in eine Schlägerei. Lennard befreit sie daraus und nimmt sie in seiner „Residenz“ auf, eine stillgelegte Baustelle in einem Hochhaus, wo er sich eingerichtet hat. Er versorgt die verletzte Sam. Langsam entwickelt sich so etwas wie Freundschaft zwischen ihnen.

Schnitt. Eines Tages klingelt es an der Tür der alleinerziehenden Mutter und Architektin Anne (Katja Flint). Vor der Tür steht Kriminalkommissarin Jule Böhmer (Inga Busch), begleitet von mehreren Polizisten. Sie sind gekommen, um Annes älteren Sohn Rio (Jonathan Stolze), der in einem Monat 18 wird und vor dem Abitur steht, abzuholen. Eine Krankenschwester, die auf das Präsidium gekommen ist und eine Aussage gemacht hat, hat den Sohn als einen von drei Tätern auf einem Video identifiziert. Anne ist fassungslos. Ihr Sohn wird abgeführt.

Ganz allmählich verbinden sich die Erzählungen

In „Frankfurt, Dezember ’17“ erzählt Regisseurin und Autorin Petra K. Wagner episodisch und elliptisch vom Schicksal dieser Menschen, Menschen aus unterschiedlichen Schichten der Gesellschaft, Menschen in sehr unterschiedlichen Lebenssituationen. Und ganz allmählich verbinden sich diese Erzählungen untereinander. Es ist ein wenig wie seinerzeit bei Robert Altmans „Short Cuts“ (1993), dem Prototyp des modernen Episodenfilms par excellence. Alle und alles haben miteinander zu tun, irgendwie.

Das alles ist kühl erzählt, mit Distanz und voller Poesie. Einmal, da schnitzt Sam mit dem neuen Messer, das ihr Lennard geschenkt hat, ihren Namen in eine der rohen Betonwände der improvisierten Wohnstätte. Lennard wiegelt ab. Was sie denn da mache. Der Mensch hinterlasse keine Spuren. Und Menschen wie sie beide schon mal gar nicht. Niemand werde einmal um sie trauern.

„Frankfurt, Dezember ’17“ ist ein Fernsehfilm, der durch seine ruhige Art bewegt. Sehr eindringlich in ihrem Minimalismus sind die beiden wunderbaren Schauspielerinnen Lana Cooper und Ada Philine Stappenbeck. Sie prägen diesen Film. Nur ein „Kunstgriff“ stört: dass die Protagonisten in ihren elliptisch kreisenden und auf verschiedenen Zeitebenen angelegten Geschichten ab und an den Blick frontal in die Kamera, zum Zuschauer hin, richten und diesem direkt erzählen, was sie gerade denken und fühlen. Der Erzählfluss wird – ohne Not und Notwendigkeit – unterbrochen, .

Als Sam schließlich die „Residenz“ aufgibt, ihre Sachen packt und raussieht, da beginnt es zu schneien. Sie geht raus, verlässt diese provisorische Bleibe für immer und streckt die Hand aus, um die ersten Schneeflocken auf der Haut zu spüren. Dann geht sie einige Schritte zum Baustellenzaun und dreht sich noch einmal um. In der ersten Schneeschicht sind ihre Schritte zu sehen. Lennard hatte doch nicht recht. Jeder Mensch hinterlässt Spuren – und Erinnerungen.

„Frankfurt, Dezember ’17“, ARD, Mittwoch, 20 Uhr 15

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