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Fernsehkrimis: Kommissare im Rausch

So schief das Bild der Polizei in den TV-Krimis ist, so sehr nutzt es dem Image. Realitätsferne hilft.

Sie sitzen im schnieken Daimler und kurven durch die Stadt. „Du fährst nach Steglitz“, sagt der eine „Tatort“-Kommissar zu dem anderen, „und mich setzt du am Potsdamer Platz ab.“ Und während Dominic Raacke alias TV-Kommissar Till Ritter beim Rumba mit der Zeugin zur Kernfrage vordringt („Zu dir?“), nimmt es Boris Aljinovic alias Felix Stark allein mit dem Hauptverdächtigen auf. In der Wirklichkeit wird so etwas nicht gern gesehen. Alleingänge und Amouren beim Ermitteln nennt Andrea Keune von der Film- und Autorenberatung des Berliner Polizeipräsidiums „realitätsfern“. Dabei geht es beim Berliner „Tatort“ noch ganz passabel zu. In Hamburg stieg der von Robert Atzorn gespielte und mittlerweile abgelöste „Tatort“-Kommissar mit der Staatsanwältin ins Bett – wo es doch, sagt Keune, gegen die Regeln verstößt, wenn die Staatsanwaltschaft „viel zu stark eingebunden ist“. In Stuttgart prügelte ein Ermittler den anderen. Und in Ludwigshafen, wo es zwar zwischen Ulrike Folkerts als Kommissarin Lena Odenthal und Andreas Hoppe als Kollege Kopper weder Sex noch Gewalt gibt, werden über dem WG-Tratsch der beiden die neuesten DNA-Ergebnisse vergessen.

Am konsequentesten wird gegen die Dienstvorschriften in Frankfurt am Main verstoßen, wo die rotblonde „Tatort“-Beauty Charlotte Sänger ihre Mörder jagt. Dass die Lady, dargestellt von Andrea Sawatzki, keine Schutzweste anlegt, gehört zu den Petitessen, auch wenn sich Simone Weinz, Keunes Kollegin in Frankfurt, daran stößt. „Sänger“ schießt nicht, wenn sie sollte, trinkt Hochprozentiges, wenn sie nicht sollte, und nascht von den Beweismitteln. Vom Dienst suspendiert, ermittelt sie heimlich und verdeckt – Vollrausch und Erwachen im fremden Bett inbegriffen. So etwas kann nur noch der Chef toppen, indem er das alles im Nachhinein als Undercovereinsatz ausgibt.

Ja, sie habe das Drehbuch vorher gelesen, sagt Simone Weinz, die damit zu leben hat, dass „während der Aufnahmen ständig umgeschrieben wird“. Beim Fernsehkrimi nimmt man es eben locker. Kugelsichere Weste? Für Weicheier! Faserschutzanzug oder Handschuhe? Doch nur für die von der Spurensicherung! Den Stars wird alles vom Leib gehalten, was „unsexy“ wäre. Berichtetippen, zum Beispiel. Weinz erkennt den Einfluss der „vielen amerikanischen Serien, die hier laufen“. Die wecken den Rambo im braven deutschen Fernsehkommissar. Und der echten Polizei treiben sie Bewerber in die Amtsstube, die von „Undercover“ und „Profiler“ faseln. Es gebe mehr „Psychologen, die Profiler, und Chemiker, die Kriminaltechniker bei uns werden wollen“.

Darüber gerät die Schutzpolizei ins Hintertreffen, wie die Bewerberzahlen zeigen – für Keune kein Wunder, da der Schupo im Fernsehkrimi fast immer die Hilfskraft spielt. Unübertroffen drastisch dargestellt wird diese Subordination – die es im richtigen Leben gar nicht gibt – von den ohnehin zum Drastischen neigenden Oberbayern in „Der Bulle von Tölz“ (Sat 1) und „Rosenheim-Cops“ (ZDF). Sinnigerweise sind es hier die faulen Dicken, nämlich „Benno Berghammer“ (Ottfried Fischer) und „Korbinian Hofer“ (Josef Hannesschläger), die ihre Kollegen in Uniform wie die Mulis antreiben. Viele Schutzpolizisten wechseln zur Kripo, sagt Simone Weinz, selbst eine Überläuferin. Aber soll sie deshalb den Drehbuchschreibern auf die Finger klopfen? Trotz der künstlerischen Freiheiten, die sich die Autoren und Regisseure herausnehmen, hat die über den deutschen Fernsehabend hereingebrochene Krimiflut der Polizei wohl genutzt. „Das Image ist unverändert gut“, sagt Konrad Freiberg, der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), der auch gern hin und wieder „einen gut gemachten ,Tatort’“ sieht.

Auf der Berufe-Prestige-Skala des Umfrageinstituts Allensbach belegen Polizisten den dritten Platz – hinter Ärzten und Krankenschwestern, vor Hochschulprofessoren und Pfarrern. In Sachen „Vertrauen in die Einrichtungen des öffentlichen Lebens“ gab Ipos Mannheim der Polizei gar jahrelang den zweiten Platz, gleich hinter dem Bundesverfassungsgericht. Und auch beim Stichwort „bürgerfreundlich“ punktete die Polizei in einer eigenen empirischen Untersuchung am zweithöchsten, hinter den praktischen Ärzten. Dabei führten die Kriminalpolizisten klar vor den Schupos und diese ebenfalls klar vor der Bereitschaftspolizei. Mit deutlichem Anstand kamen danach die Pfarrer.

Sollte der Fernsehkrimi zu diesen Spitzenwerten beigetragen haben, dann wohl eher dank der Formel: „Schon die Menge bringt es.“ Laut Medienwissenschaftler Christian Pundt geht es den Machern schon längst nicht mehr darum, das „positive Image der Polizei zu unterstützen“, so wie in den 60er Jahren beim TV-Klassiker „Stahlnetz“. Pundts Hauptwerk heißt „Mord im Tatort“. Den ihren haben die Berliner TV-Kommissare Stark und Ritter wie immer schließlich irgendwo in der großen, weiten Stadt aufgeklärt – imagefördernd oder nicht.

Rita Mohr

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