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Medien: Fragen des Vertrauens

Eine Vertrauensfrage? Eine Beziehungsfrage war die Abstimmung im Bundestag - und damit bestens für das Fernsehen geeignet.

Eine Vertrauensfrage? Eine Beziehungsfrage war die Abstimmung im Bundestag - und damit bestens für das Fernsehen geeignet. Ein n-tv-Mitarbeiter sprach gar von "Vergewaltigung" in der rot-grünen Ehe. Bundeskanzler Schröder war der Erste, der um die Haltbarkeit und die Fortsetzung dieser Beziehung warb. Je länger der Vormittag dauerte, desto höher stieg die Raumtemperatur. Prominenter konnte eine Rednerliste nicht besetzt sein: Friedrich Merz (CDU), Gregor Gysi (PDS), Joschka Fischer (Bündnis 90/Die Grünen), Guido Westerwelle (FDP), wer Rang und Rahmen in der deutschen Politik hat, der sprach kurz, mit Feuer in der Stimme. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse moderierte, das Publikum im Rund der Fraktionen lachte, stöhnte, klatschte. Es gab Zwischenrufe, Wortmeldungen, Gegenreden. Ist eigentlich die Talkshow nach parlamentarischem Vorbild kreiert worden? Wer zwischendurch zu "Franklin" bei Sat 1 zappte, der sah durch die Talkshow-Folie hindurch die Abgeordneten sitzen, streiten, toben. Und wurde zur Annahme verführt, dass sich das Fernsehen oft eine Bedeutung, eine Attraktivät herbei inszeniert, die außerhalb seiner Studios und seiner Fiktionen längst vorhanden ist.

Der Freitag zeigte, wie kurzsichtig eine Kritik sein kann, die das Fernsehen zum infantilen Unterhaltungsmedium herunterredet. Die Angebotsbreite ist größer, und das nicht nur an einem Tag wie dem gestrigen. Einziges Problem: Normalerweise schaut kaum einer zu. Am Freitag waren die Sender in breiter Formation der parlamentarischen Demokratie zu Diensten. Die Bilder und die Ausschnitte während der Debatte waren in allen Programmen von der ARD über n-tv bis zum Bayerischen Fernsehen identisch. Und nicht die Bilder gruben sich ins Gedächtnis, die Reden waren es. Dass der bebilderte Hörfunk funktionierte, lag an den Inhalten. So sehr sich das Fernsehen sonst wieder und wieder mit Tricks und Kniffen um Aufmerksamkeit und Konzentration seiner Zuschauer bemüht und bemühen muss, weil die Stoffe allein nicht fesseln können, so sehr genügte am Freitag das bloße Bildsignal. Da könnten Gewissheiten ins Rutschen kommen: Möglicherweise bietet der Ereignis- und Dokumentationskanal Phoenix, der getreue und nicht massenhaft eingeschaltete Dokumentarist des Parlaments, des Öfteren das spannendere Programm.

Die Dramatik der Bundestags-Debatte mündete ins Drama der namentlichen Abstimmung. Mit dem Ergebnis brach die Distanz zwischen Ereignis und Medium zusammen. Die Fernsehleute rissen das Gesetz des Handelns an sich, als hätte Schröders Kanzler-Kommando "An die Arbeit!" ihre gebundenen Kräfte entfesselt. Fernsehen wie am Wahlabend: Wer hat wen zu welchem Zeitpunkt vor dem Mikrofon? Eine Spekulation jagte das nächste Interview. "Vera" von Sat 1 brachte das Medium in seinem rein unterhaltenden Teil wieder zu sich. "Woran ist Deine Beziehung gescheitert?", fragte Frau Int-Veen in ihrem Talkshow-Studio. In den Hallen des Bundestags wurde Vergleichbares diskutiert: Woran wird die rot-grüne Koalition doch noch scheitern?

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