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© ZDF

Geschichts-TV: Kalt wie Stahl

Ein ZDF-Dreiteiler erzählt vom Familienleben der Krupps – und auch ein wenig von deutscher Geschichte.

1943: Essen wird bombardiert, auch die Bewohner der Villa Hügel suchen Schutz im Keller. Bis auf Bertha Krupp (Iris Berben) und ihr Sohn Alfried (Benjamin Sadler). Sie stehen am Fenster und blicken hinaus. Bertha erzählt vom verzweifelten Wunsch ihres Mannes Gustav von Bohlen und Halbach, ein „echter Krupp“ zu werden. Und während es ganz in der Nähe kracht und Essen in Flammen steht, bläut Bertha ihrem Erstgeborenen ein weiteres Mal die gemeinsame Bestimmung ein: „Ich bin ein Krupp, Alfried. Und du bist ein Krupp.“ Alfried schweigt. Auch das Publikum sollte zu Beginn des dritten Teils von „Krupp – Eine deutsche Familie“ längst wissen, was Bertha sagen will. Nichts anderes zählte: die Firma, die Tradition, der Wunsch – nein, die Pflicht, die Nummer eins zu sein. Mag draußen auch die Welt in Schutt und Asche liegen.

Daran hatte die Firma Krupp allerdings einen herausragenden Anteil. Alfrieds Großvater Friedrich baute das Unternehmen Ende des 19. Jahrhunderts aus. Krupp florierte, nicht zuletzt wegen der Produktion von Rüstungsgütern, die man in alle Welt verkaufte. Besonders das deutsche Militär hing in beiden Weltkriegen an der Nabelschnur der Krupp’schen Waffenschmieden. Kaiser Wilhelm II. und, anfangs widerwillig, auch Adolf Hitler wurden häufig in der Villa Hügel empfangen. Die sozialen Wohltaten für die Mitarbeiter, die Kruppianer, sind ebenso verbrieft wie die Untaten, die Ausbeutung zehntausender Zwangsarbeiter, Kriegsgefangener und KZ-Insassen. Der Name ist ein Synonym für Kapitalismus, für beispiellosen Erfolg – und die Verstrickung in Verbrechen. Krupp, das ist bleischwere Geschichte. Sehr deutsch, sehr groß, sehr ambivalent. Die nach dem ersten Teil ausgestrahlte Dokumentation unter Leitung von Guido Knopp heißt denn auch im üblichen ZDF-Stil „Krupp – Mythos und Wahrheit“ (Sonntag, 21 Uhr 45).

Jahrzehntelang haben verschiedene Fernsehproduzenten und Sender auf dem Thema Krupp als fiktionalem Stoff herumgekaut. 2005 taten sich dann die Produzenten Oliver Berben, der eigentlich für die ARD-Tochter Degeto unterwegs war, und Georg Feil zusammen. Angeblich bekamen sie jeweils Wind von dem Projekt des anderen, weil sie beide Iris Berben – die Mutter von Oliver – für die Hauptrolle verpflichten wollten. So berichtet es Feil, der sich im Auftrag des ZDF des Projekts angenommen hatte, im Fachdienst „Funkkorrespondenz“.

Natürlich steht Iris Berben neben Sadler im Mittelpunkt des Films, weniger weil sie als Kind einige Jahre in Essen gelebt und ihre Mutter selbst bei Krupp gearbeitet hat. Vielmehr ist hier mit den Berbens, Regisseur Carlo Rola und Autor Christian Schnalke ein eingespieltes Team am Werk, das neben „Rosa Roth“- Krimis auch die ZDF-Produktionen „Die Patriarchin“ und „Afrika, mon amour“ fabriziert hatte.

Die 270 Minuten lange Familiengeschichte kostete mehr als zwölf Millionen Euro, womit jeder Teil drei- bis viermal so teuer ist wie ein üblicher Fernsehfilm. Von „Eventfernsehen“ oder „Leuchttürmen“, wie es im ZDF-Jargon heißt, geht jedoch nur selten Erhellendes aus. Das ist bei der „Krupp“-Saga nicht viel anders. Dem Mythos des großen Namens begegnet das ZDF, indem es privatisiert und die Firmengeschichte um einen Konflikt zwischen Mutter (Bertha) und Sohn (Alfried) kreisen lässt. Die Handlung umfasst eine Zeitspanne vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis zum Jahr 1966, als Alfrieds Sohn Arndt auf das Erbe verzichtete. Die Geschichte zieht an den Fenstern der Villa Hügel oder des österreichischen Sommersitzes Schloss Blühnbach vorbei wie ein ferner Kanonendonner. Nur selten verlässt die Kamera die Innenwelt der Familie. Warum nicht? Es genügt eine Szene, in der Alfried im Vorbeifahren Zeuge von Erschießungen wird, um das bewusste Wegschauen der Krupps zu erzählen. Sadler spielt den später in Nürnberg verurteilten Alfried alles andere als einen begeisterten Nazi. Dagegen hebt Bertha entschlossen den Arm zum Hitlergruß, offenbar verführt vom Erfolg des anfangs verabscheuten Diktators. Gab es Gewissenskonflikte? Darüber erfährt man wenig.

Auch sonst geht die historische Balance ein wenig verloren. Wir erleben die Verhaftung von Alfrieds Onkel Tilo von Wilmowsky (Volkmar Kleinert), der das KZ nur knapp überlebte. Wir sehen, wie Alfrieds Bruder Harald (Barnaby Metschurat) gebrochen aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrt. Die Krupps waren auch Opfer. Und besonders gerne wird erzählt, wie honorig die Besitzer mit den Kruppianern umgegangen sind und wie hoch ihr Ansehen bei der Belegschaft war. Ansonsten bleibt die Welt der Arbeiter malerische Kulisse. Von Zwangsarbeitern ist gar nichts zu sehen. Zum Thema jedoch werden sie, als sich Alfried Krupp nach dem Krieg gegenüber der Forderung nach Entschädigung einiger überlebender Jüdinnen spontan aufgeschlossen zeigt. Das wird inszeniert wie eine noble Geste, was schon hart an die Grenze zur Schönfärberei heranreicht.

Dafür erfahren wir ausführlich, wie es im Hause Krupp zuging: Alfried wird schon als Junge zur Nummer eins gedrillt. Es herrschen Zucht und Ordnung, Disziplin und Pünktlichkeit. Wenn der junge Alfried (Theo Trebs) nur Sekunden zu spät zum Essen erscheint, bleibt die Tür verschlossen. Seine Mutter, die junge Bertha (Valerie Koch), sieht in ihm nur den Firmenerben, nicht den liebebedürftigen Sohn. Später serviert die ältere Bertha Alfrieds Frau Anneliese (Marvie Hörbiger) knallhart ab. Es herrscht eine kalte Pracht in der Villa Hügel.

Und im Zentrum: Iris Berben, die die Firmen-Übermutter auch bei Heinrich Breloers „Buddenbrooks“-Verfilmung gespielt hatte. Sie beweist ihren Mut zum Altern, aber wo sind die Brüche, die Zweifel, die Bertha angesichts der Geschichte ihrer Eltern gehabt haben muss? Die Mutter Margarethe (Barbara Auer) war in die Nervenheilanstalt verfrachtet worden, weil sie sich an Kaiser Wilhelm II. (Michael Schenk) um Hilfe gewandt und den Herrscher somit in die peinliche Affäre um ihren homosexuellen Gatten Friedrich , genannt Fritz (Fritz Karl), verwickelt hatte. Die Geschichte lastet schwer auf dem Film, besonders in den Dialogen und der pathetisch-orchestralen Musik.

Für eine gewisse Leichtigkeit sorgt erst Nikolai Kinski: Sehr lässig gibt er den schrillen Außenseiter Arndt von Bohlen und Halbach. Einst galt Alfrieds Sohn als Inbegriff des superreichen Nichtsnutzes, der seine geerbten Millionen sinnlos verprasst. Hier kann er einem richtig sympathisch werden. Ja, auch Arndt war Krupp!

„Krupp – Eine deutsche Familie“ im ZDF: 1. Teil, Sonntag, 20 Uhr 15; anschließend „Krupp – Mythos und Wahrheit“ (0 Uhr 10, Dokumentation); „Auf der Suche nach Familie Krupp“: Reportage über Iris Berben und Benjamin Sadler bei der Vorbereitung auf ihre Rollen; 2. und 3. Teil, Montag und Mittwoch, jeweils 20 Uhr 15

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