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Medien: Hans Werner Kilz im Gespräch: "Die Recherche hat gelitten"

Täuscht der Eindruck, dass die "Süddeutsche Zeitung" Berlin publizistisch nicht in den Griff bekommt? Das Engagement wirkt halbherzig im Vergleich mit den "Berliner Seiten" der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

Täuscht der Eindruck, dass die "Süddeutsche Zeitung" Berlin publizistisch nicht in den Griff bekommt? Das Engagement wirkt halbherzig im Vergleich mit den "Berliner Seiten" der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

Es gibt das politische Berlin als Hauptstadt. Da sind wir mit dem Berliner Büro sehr gut bestückt. Da ist die "Süddeutsche" auch ein führendes Meinungsmedium in der Hauptstadt. Was Berlin als Stadt anbetrifft, ist unser Auftritt in der Zeitung eher bescheiden. Die "FAZ" macht die "Berliner Seiten", ein Berlin-Feuilleton. Das kostet sehr viel Geld. Es hat der "FAZ" nach meinen Informationen keinen großen Zuwachs an Lesern gebracht, aber eine gewisse Reputation. Wir haben immer gesagt, wir setzen erst einmal einen Anfang. Ich schließe nicht aus, dass wir uns verändern. Im Moment ist unsere Berlin-Seite keine Seite allein für Berliner, sondern für alle Leser. Wir werfen einen Blick auf Berlin, bieten eine Art "Digest".

"SZ" und "FAZ" werden ständig aneinander gemessen. Manche sagen, das Blatt aus Frankfurt hätte die Debattenhoheit ...

Ich weiß nicht, wie Sie das begründen wollen. Wenn die "FAZ" in ihrem Feuilleton die Genom-Analyse zum Thema macht und darüber die klassischen politischen Themen vernachlässigt, dann zweifele ich, ob das bei ihrer Leserschaft auf so fruchtbaren Boden fällt. Ich fand das einen hübschen Gag, aber ich kann mich nicht erinnern, dass die "FAZ" bei der CDU-Spendenaffäre, die die Republik wirklich erschüttert hat, auch nur eine kleine Rolle gespielt hat. Die "FAZ" kann ein Maßstab, aber kein Vorbild für den Journalismus der "Süddeutschen" sein. Der ist frisch, überraschend, unkonventionell, von sehr guten Autoren geschrieben.

Die "SZ" wirkt in ihrem Erscheinungsbild altbacken.

Wenn Sie mit "altbacken" meinen, dass wir in unserem Erscheinungsbild nichts Revolutionäres verändert haben, dann haben Sie Recht. Es ist doch so, dass Veränderungen am optischen Erscheinungsbild Lob in der Branche finden, aber sehr viel weniger beim Leser. Relaunches bringen keine Leser. Wenn eine Zeitung inhatlich gut ist, wird der Leser sie kaufen oder abonnieren. Wir werden im neuen Jahr fünf neue Rotationsmaschinen angeschafft haben. Im April oder Mai können wir auf durchgehend 48 Seiten farbig sein. Insofern wird sich die "Süddeutsche Zeitung" optisch verändern, aber Sie werden sie wiedererkennen.

Farbfotos auf Seite 3?

Das wird kommen.

Nun stellt sich die "FAZ" mit ihrem neuen Druckhaus in Maisach vor den Toren Münchens auf.

Wenn die "FAZ" eine Lokalausgabe in unserem Kern-Verbreitungsgebiet machen will, dann sind wir gewappnet.

Soll heißen?

Wir werden den Lokal-, auch den Bayernteil weiter verbessern. Wenn wir zudem ins Kerngebiet der "FAZ", ins Rhein-Main-Gebiet, nach Frankfurt gingen, dann würden auch dort mehr Leser die "Süddeutsche" kaufen. Natürlich. Aber das muss sich alles rechnen. Als Chefredakteur würde ich mich überhaupt nicht dagegen wehren, wenn die "Süddeutsche" in einzelnen Regionen eigene lokale Produkte machen würde. Wenn so das Konzept der Zukunft aussieht, uns als überregionale Zeitung stärker zu verankern, bin ich sehr dafür. Vom Kaufmännischen macht das vielleicht weniger Sinn, vom Publizistischen, vom Verlegerischen her kann es trotzdem geboten sein.

Rechnen ist das eine, Recherchieren das andere. Ihr Redakteur Hans Leyendecker wird nicht müde, die Recherche-Unlust im deutschen Journalismus zu beklagen.

Die Urtugend des Journalismus, die Recherche, hat gelitten. Das hängt damit zusammen, dass junge Leute in den Journalismus kommen, die gar nicht mehr diesen Hauptantrieb haben: Ich will etwas rauskriegen, um es mitzuteilen. Sondern sie wollen sich selbst äußern, schreiben, es ist Selbstdarstellung dabei. Sich in den Dienst der Zeitung stellen wollen, wird zurückgedrängt von dem Drang, sich über Zeitung selbst zu profilieren. Nach dem Motto: Nicht mehr das Ereignis ist wichtig, viel wichtiger ist, wie ich das Ereignis bewerte.

Trifft das auch für den "Spiegel" zu? Es gibt Stimmen, die meinen, das Magazin sei "irrelevant" geworden?

"Irrelevant" ist der "Spiegel" nicht geworden, das ist der falsche Ausdruck. Er hat aber auch sehr stark das Vermischte in den Vordergrund gerückt. Andererseits arbeiten Zeitungen vertiefender, sie sind analytischer geworden. Im Grunde machen wir die Wochenzeitung in der Tageszeitung.

Was bleibt da für einen Wochentitel wie "Die Zeit" übrig?

Für "Die Zeit" gesprochen: Dauernd Chefredakteure auszutauschen, kann dem Ansehen und der Auflage nicht dienlich sein.

Was die Print-Branche nach wie vor verblüfft: Die "Süddeutsche Zeitung" ist gegen den Borderline-Journalisten Tom Kummer, der im "SZ-Magazin" gefälschte Interviews veröffentlichen konnte, nicht vor Gericht vorgegangen. Obwohl Honorare und Spesen in sechsstelliger Höhe gezahlt wurden.

Bevor der Fall bekannt und von uns auch in der eigenen Zeitung dargestellt wurde, war die Zusammenarbeit mit Tom Kummer schon ein Jahr beendet. Was die damalige Chefredaktion des "Magazins" versäumt hat, war, die Geschäftsführung des "Magazins" und auch die Chefredaktion der "Süddeutschen" rechtzeitig zu informieren. Wir haben einen klaren Schnitt gezogen zu einer bestimmten Form von Journalismus, den wir nicht mehr für tolerabel halten: Wenn Wirklichkeit und Fiktion so ineinander übergehen, dass man das eine nicht mehr vom anderen trennen kann, dann ist eine Grenze überschritten, dann tangiert das den seriösen Anspruch der "Süddeutschen Zeitung".

Aber die Kummer-Nummer soll so unberührt wie möglich in der Vergangenheit ruhen.

Was macht es denn für einen Sinn, jetzt noch einmal Tom Kummer zu verfolgen? Der Mann hat sich selbst ins Abseits gestellt als Journalist. Ich halte nichts von strafrechtlichen Sanktionen. Für mich ist der Fall abgeschlossen.

Welche Lehre ist aus dem Fall des kleinen Joseph im sächischen Sebnitz zu ziehen?

Dass auch für Journalisten, die schreiben und kommentieren, der Grundsatz - Im Zweifel für den Angeklagten - gelten muss, selbst wenn es noch so unbequem ist. In Sebnitz waren fast alle, auch wir, einer Hysterie erlegen, die sogar von staatlichen Stellen geschürt wurde.

Daum soll koksen, Beckenbauer geht fremd, Scharping ist frisch verliebt, in Joschka Fischers Ehe soll es kriseln - alles gedruckt. Alles Private ist öffentlich?

Das hat mit Journalismus eigentlich wenig zu tun. Privatsphäre gebührt jedem - auch den Prominenten. Wenn natürlich ein Minister eine Liaison mit einer Dame von sich aus öffentlich macht, dann muss man sich nicht wundern, wenn das in dieser extensiven Art dargestellt wird. Andere Dinge beunruhigen mich bei den Medien stärker. Beim Fall Daum, zum Beispiel, wussten die Sportjournalisten seit langem von diesem angeblichen Drogenkonsum, von Immobiliengeschäften. Sie haben es aber nicht geschrieben. Die Sportjournalisten müssen sich mal fragen, ob sie durch Nähe zu ihren Objekten in ihrer Berichterstattung befangen sind, ob sie gelähmt werden. Die Bereitschaft zur Recherche wird gedrosselt durch Kumpanei. Das gilt auch für politische Journalisten oder Wirtschaftsjournalisten. Wichtig ist doch, dass die Verlage die Redaktionen finanziell so ausstatten, dass die Journalisten unabhängig arbeiten können.

Wissen Sie um die Aktiendepots Ihrer Redakteure Bescheid?

Nein. Wir haben aber in der Redaktion eine "Ethikkommission" berufen, die gerade dabei ist, ein Papier zu erarbeiten, was Journalisten privat, geschäftlich alles machen dürfen, was nicht mit ihrer öffentlichen Aufgabe als Journalist kollidiert. Dazu gehört auch der Besitz von Aktien und Wertpapieren.

Begrüßen Sie das Urteil, wonach die Redakteure des "Handelsblatts" ihren Aktienbesitz offenlegen sollen?

Ja. Ich bin eindeutig dafür, die Gefahr von Insidergeschäften ist zu groß. Ich gehe bis auf weiteres davon aus, dass die Sensibilität in unserer Redaktion schon jetzt sehr ausgeprägt ist. Es schadet aber nichts, das auch schriftlich festzuhalten. Ich könnte mir vorstellen, dass dieses Papier auch Bestandteil der Arbeitsverträge wird. Da kann auch die Parteizugehörigkeit ein Thema sein. In einer Präambel muss auf jeden Fall festgehalten werden, dass der Journalist selber seine Unabhängigkeit wahrt. Im Detail können Sie das nicht regeln, Sie müssen Grundsätze und Leitlinien formulieren, die immer herangezogen werden können. Im Zweifel würde ich sagen: sich gegen den Vorteil von dritter Seite zu entscheiden.

Nach dem Ethik-Papier kommt dann der Ethik-Ausschuss, der auf Einhaltung achtet?

Man soll es jetzt nicht verkomplizieren durch irgendwelche Ausschüsse. Eigentlich muss ein Chefredakteur vom Vertrauen seiner Redaktion getragen sein. Also sollte man dem Chefredakteur der "Süddeutschen Zeitung" überlassen, im Einzelfall das eine oder andere zu überprüfen. Nehmen wir das Beispiel, wenn Journalisten mit Politikern unterwegs sind: Die Reisen sollten nicht auf Staatskosten gemacht werden.

Wir sollten unseren Berufsstand auch nicht zu pessimistisch betrachten. Wenn Sie die deutschen Zeitungen mit ausländischen vergleichen, Frankreich oder USA, dann sind die deutschen Blätter sehr gut. Und Zeitungen sind nur gut, wenn die Journalisten gut sind. Wir müssen darauf achten, dass Leute, die Zugang in diesen Beruf finden, das Privileg des öffentlichen Auftrags schätzen und wahrnehmen.

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