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Medien: Himmel hilf, Gutmensch trifft Bösmensch bei „Anne Will“

Über ein Thema mit Verve und Tiefe zu diskutieren, ist anstrengend. Über Personen zu quatschen, ist nicht anstrengend.

Über ein Thema mit Verve und Tiefe zu diskutieren, ist anstrengend. Über Personen zu quatschen, ist nicht anstrengend. Also wurde bei „Anne Will“ das aufgerufene Thema „Sehnsucht nach einer besseren Welt – brauchen wir mehr ,Gutmenschen'?“ am Sonntag kurz aufgerufen und dann vergessen. Es ging erst um Margot Käßmann, dann um Winfried Kretschmann, dann wieder um Margot Käßmann. Um Haltungen, Haltungsnoten. Für die Abteilung Attacke hatte sich Will den FDP-Politiker Martin Lindner und den Medienphilosophen Norbert Bolz an die Seite geholt. Lindner erfüllte die in ihn gesetzten Erwartungen, er schimpfte, dass die Käßmänner dieser Welt die Pragmatiker der Politik belächeln. Die sollen die „Drecksarbeit“ machen, über die andere im Engelsflug hinwegschweben. Bolz verriet am Anfang seine Klugheit, als er den Frommen dringend empfahl, ihre Bauanleitungen fürs Weltgeschehen hinter den Mauern der Kirche zu belassen.

Derartiger Unsinn konnte, musste die ehemalige EKD-Vorsitzende lächeln lassen. Trotzdem, wer die Protestantin nicht als Popstar erfährt, der wird auch beim Talkshow-Auftritt nicht begriffen haben, warum sie als solcher ge- und behandelt wird. Sie sagt schlichte Merksätze auf, ist schneller im Bibelzitat verschwunden als die Maus im Schlupfloch. Käßmanns Schwäche ist nicht, dass sie mit ihrer wohlfeilen Kritik an politischen Vorgängen intellektuell unredlich ist, ihre Stärke ist ihre Orientierungssicherheit. Sie vermittelt, sie wisse Bescheid, hier, da, dort. Lindner und Bolz waren bereit, ihr gegenüber als Bösmenschen aufzutreten – wo aber war die Moderatorin? Es genügt beileibe nicht, Gäste gegen Gäste die „Drecksarbeit“ machen zu lassen, Will muss führen, lenken, sich einmischen.

Bei Winfried Kretschmann wurde es nicht besser. Mit dem ersten grünen Ministerpräsidenten sollte wohl die These debattiert werden, ob Grüne in den Ebenen der Realpolitik als Traumtänzer entlarvt werden. Siehe den fortgesetzten Streit um das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21. Kretschmann hatte leichtes Spiel, weil sich die möglichen Antipoden in der Runde sofort mit mangelnder Detailkenntnis entschuldigten. Das wäre die einmalige Chance für Will gewesen, aus ihrem Stand-by- in den Präsenzmodus zu wechseln. War an diesem Abend nicht zu haben, die Moderatorin wollte partout über Personen und nicht über Themen reden und reden lassen. Zur Überraschung aller ging es im Schweinsgalopp zur Trunkenheitsfahrt der Margot Käßmann zurück. Damit war „Anne Will“ endgültig im „Bunte“-Blabla gelandet.

Ein Wunder nur, dass Frau Will Frau Käßmann nicht noch um eine Widmung gebeten hat. Margot K. hat ja wieder Bekenntnis abgelegt: „Sehnsucht nach Leben“. Wäre die eindeutig bessere Überschrift für diesen Talk vor 3,90 Millionen Zuschauern gewesen. Joachim Huber

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