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© Heritage-Images

Hörfunk: Berlin, Berlin!

Jingles, Hits, wenig Reportagen, viel Wetter & Verkehr – eine Reise durch die vielfältigste Radiolandschaft Deutschlands

Den Sommer auf dem Balkon im Liegestuhl genießen und gleichzeitig verreisen? Das ist möglich. Es genügt ein Kofferradio und bewegt werden muss nicht mehr als ein einziger Finger, der durch die Frequenzen schaltet. Die Reise durch die Berliner Radiolandschaft beginnt bei 87,9 MHz. Kein sanfter Start, sondern einer mit Pauken und Trompeten oder eher mit Schlagzeug und E-Gitarren. „Star FM“ heißt der Sender und verspricht ein Maximum an Rock. Der Moderator „T-Bone“ mit englischem Akzent verlost gerade, untermalt von Motorradgeräuschen, ein Biker-Wochenende.

„Star FM“ ist einer von 29 Radiosendern, die in Berlin über Antenne zu empfangen sind. „Es gibt in Deutschland keine Region mit so vielen Sendern“, sagt Susanne Grams von der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (Mabb). Das hänge unter anderem zusammen mit der Geschichte der Stadt. „Erstens mit der Teilung. Da gab es DDR-Frequenzen, die Frequenzen im Westen und zusätzlich auch noch die Sender der Alliierten.“ Mitte der 80er Jahre kamen die Privatsender hinzu, für deren Zulassung die Mabb zuständig ist. Auf der anderen Seite steht der öffentlich-rechtliche Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) mit seinen sieben Radiowellen. Dazu gehört – neben dem in der Region meistgehörten „Antenne Brandenburg“ – auch „Radio Berlin 88,8“, laut Zahlen der letzten Media-Analyse der beliebteste Sender in der Hauptstadt, auf der Frequenzskala gleich hinter „Star FM“. Wie passend: aus dem Lautsprecher tönt der Song „Voyage Voyage“. Zurücklehnen, Augen schließen? Aber nein. Es passiert das, wofür man viele Radiosender verdammen könnte. Das Lied wird nach einigen Minuten ausgeblendet, damit der Hörer bloß nicht vergisst, was er da gerade hört: „Radio Berlin 88,8!“, verkündet ein Jingle.

Anschließend wird eine Reise nach Zypern verlost, und es stellt sich die Frage, wo eigentlich genau die Grenze zwischen öffentlich-rechtlichem Rundfunk und den Privatsendern verläuft. Schnell umschalten. Nach einem kurzen Rauschen im Nichts werden Wortfetzen immer deutlicher: „Deutschlandradio Kultur“.

Was es dort mit dem Thema „elektronische Babypuppe“ auf sich hat, ist nicht mehr rauszufinden. Die Sendung „Radiofeuilleton“ ist gerade vorbei. Es folgen Nachrichten und anschließend die Ortszeit, eine ausführliche Informationssendung mit aktuellen Themen wie Frank- Walter Steinmeiers Wahlkampf. Nüchterne, teilweise trockene Informationen, wenig Musik, aber dafür die Sicherheit, hinterher mehr zu wissen.

„Deutschlandradio Kultur“ und „Deutschlandfunk“ senden seit 1994 bundesweit und bilden gemeinsam das „Deutschlandradio“ mit Funkhäusern in Köln und Berlin. Entstanden sind sie aus dem ehemaligen DDR-Rundfunk, dem früheren „Deutschlandfunk“ und einem Teil des unter amerikanischen Besatzern gegründeten „Rundfunk im amerikanischen Sektor“ (RIAS). Vor der Wende hatten sowohl der RIAS als auch der „Deutschlandfunk“ westliche Informationen in den Osten ausgestrahlt. „Wir merken heute noch, dass besonders viele treue Hörer aus den neuen Bundesländern kommen, für die der Deutschlandfunk die einzige Quelle für verlässliche Informationen war“, sagt Stephan Detjen, Chefredakteur vom Deutschlandfunk. Sowohl „Deutschlandradio Kultur“

als auch „Deutschlandfunk“ bieten ein breites Spektrum an Wortsendungen: Hörspiele, Features, Essays, Gesprächsrunden, Musiksendungen oder Magazine. Wer am Sonntagmittag einschaltet, wird mit „Neonlicht“, dem Großstadtmagazin, in die weite Welt mitgenommen und erfährt, dass in Moskau deutscher Lebensstil hoch im Kurs steht.

Zurück zum Liegestuhl auf dem Balkon, zum Frequenzknöpfchen. „BBC World Service“ tönt aus dem Äther. Auch hier steht das gesprochene Wort im Vordergrund, diesmal aus London und auf Englisch, nicht der einzige fremdsprachige Sender in Berlin. „Radyo Metropol FM“, das erste türkischsprachige Radio in Deutschland, sendet seit zehn Jahren, und „Radio Russkij“ auf 97,2 MHz berichtet als einziges russisches Radio jeden Tag für ein paar Stunden aus Berlin. Dann gibt es französische Beiträge und Moderationen bei „Radio France International“. Wem diese Auswahl nicht ausreicht, der kann bei „Funkhaus Europa“ fündig werden, das auf dem früheren Sendeplatz von „Radio Multikulti“ – 96,3 MHz – zu empfangen ist. Während Multikulti nur noch im Internet existiert, kommen die Sendungen von „Funkhaus Europa“ jetzt aus Köln.

3Mehr Aufmerksamkeit haben jedoch – laut Media-Analyse – Sender wie „BB Radio“, „104,6 RTL“, „rs2“, „Spreeradio“ oder „Energy Berlin“. Unterschiede sind beim schnellen Durchschalten kaum auszumachen: viel Musik, Moderatoren, die dazwischenquatschen, Ratespiele. Fast alle Sendungen in der Frühe zwischen sechs und zehn Uhr – der Primetime des Radiotages – bringen in kurzen Abständen Informationen über die Verkehrslage oder über das Wetter. Dazwischen Hits, Hits, Hits. Aktuell und von gestern. Mainstream.

Etwas abseits davon liegt „Radio Eins“ vom RBB, das sich an junggebliebene Erwachsene wendet und intelligent verpackte Inhalte mit einer großen Bandbreite an Musik verbindet. Am Abend laufen Spezialsendungen, die sich Experimenten und musikalischen Richtungen widmen, weit entfernt vom Massengeschmack. Der private Sender „Motor FM“, mit seinem Mix aus Indie, Electro und Rock sticht ebenfalls heraus. So auch die „Morningshow“, die viel über die Hörer von „Motor FM“ aussagt. Sie beginnt täglich um 14 Uhr. Beim Weiterschalten durch die Frequenzen folgen die leichte Berieselung von „Klassik Radio“ und „Jazz Radio“, beide mit einer Tendenz zur Hintergrundmusik im Fahrstuhl. Erst „Radio Fritz“ vom RBB bringt wieder Schwung in die Boxen. Und während den ganz jungen Hörern in den öffentlich-rechtlichen Wellen einzelne Sendungen, wie beispielsweise „Kakadu“ bei „Deutschlandradio Kultur“ oder der „Ohrenbär“ auf „Radio Berlin 88,8“ gewidmet sind, bringt „Radio Teddy“ auf 106,8MHz rund um die Uhr ein Kinder- und Familienprogramm. Hier wird nicht nur über den Bombenanschlag auf Mallorca berichtet, sondern auch kindgerecht erklärt, wer die ETA eigentlich ist und woher der Name kommt.

„Video killed the Radio Star“, singen die Buggles auf „Radio Teddy“. Die zwei Moderatoren, die hier ins Mikrophon quasseln, sind sicherlich keine Radio-Stars mehr, wie es sie zu den Anfängen dieses Mediums gab: berühmt und unverwechselbar mit bestimmten Sendungen verknüpft. Dennoch entsteht beim Durchhören durch die Sender nicht der Eindruck, dass es das Video geschafft hat, das Radio zu verdrängen.

Der altmodische Kasten wird neuerdings an anderer Stelle ergänzt – durch das Internet. Netzradios bieten hochspezialisierte Programme an. Zum Beispiel „ByteFM“, bei dem Musik nicht nur rauf und runter gespielt wird, sondern Musikjournalisten, deren Formate im analogen Radio keinen Platz mehr hatten, mit großem Hintergrundwissen moderieren. Oder Angebote im Stil von „last.fm“, wo eigene Musikfarben zusammengestellt werden können. Aktuelle Nachrichten, den Wetter- und Verkehrsbericht, das bringt die Konkurrenz aus dem Netz im Unterschied zu den klassischen Sendern noch nicht.

Bei 107,5 MHz endet die Radioreise mit „BB Radio“. Kurz vor Mitternacht verbreitet eine soulige Pop-Version des Metallica-Hits „The Unforgiven“ Tanzstimmung. Beim „Deutschlandfunk“ wird mit der National- und mit der Europahymne der Tag abgeschlossen oder der neue eingeläutet – wie man’s nimmt. Auf dem Balkon wird das Radio ausgeschaltet. Stille. Die Ohren sind nach dieser Reise urlaubsreif.

Vera Pache

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