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Medien: Hosenrolle rückwärts

Harald Schmidt macht Theater. Aber geht er jetzt auch ans Berliner Ensemble?

Liegt Harald Schmidts Zukunft in seiner Vergangenheit? Claus Peymann hat wieder einmal schneller als die Konkurrenz reagiert und sein Fenster weit aufgemacht: „Harald Schmidt kommt fest ans Berliner Ensemble – wohin sonst?“ Schließlich kennen sich die beiden Medien-Artisten seit 1974. Peymann, seinerzeit Theaterchef in Stuttgart, verschaffte dem Schauspielschüler Schmidt das erste Engagement: als Statist in Schillers „Räubern“. Und vor zwei Jahren stand Harald Schmidt auf der Bühne des Berliner Ensembles – als BE-Direktor in dem Dramolett „Claus Peymann kauft sich keine Hose, aber geht mit mir essen“ von Benjamin von Stuckrad- Barre, frei nach Thomas Bernhard.

„Verfremdung durch Anverwandlung: Der Schauspieler Harald Schmidt, Deutschlands zartester Zyniker, legt die Hosenrolle in allerbester Brecht-Manier an, indem er eines anderen Eitelkeit und figürliche Verwerfungen an der Bundfalte packt. Der Vorhang zu und alle Hosen offen“, hieß es damals in der Kritik des Tagesspiegel. Und: „Wir haben an diesem Abend die Zukunft des Theaters gesehen. Kurz, knackig, komisch, kritisch.“

Was könnte Schmidt spielen am Berliner Ensemble? Im Grunde jede Thomas- Bernhard-Figur, denn Claus Peymann wird, solange er an irgendeinem deutschsprachigen Theater das Sagen hat, immerzu Stücke von Thomas Bernhard inszenieren. Wir werden ja sehen: Harald Schmidt als nudelfressenden „Weltverbesserer“, als arbeitslosen Tellerjongleur in „Der Schein trügt“ oder als musikbesessenen Zirkusdirektor Caribaldi in „Die Macht der Gewohnheit“, der immer den berühmten Satz sagt: „Morgen in Augsburg.“ In Augsburg war Schmidt tatsächlich mal drei Jahre am Theater engagiert; dort war er 1981 unter anderem in Lessings „Nathan der Weise“ zu sehen. Als Mameluck. Was ein besserer Bote aus den afrikanischen Provinzen ist. Wie meinte der Mameluck: „Erwünschte Nachricht, Sultan! Freude, Sultan! Die Karawane von Kahira kommt. Ist glücklich da! Mit siebenjährigem Tribut des reichen Nils.“

Naturgemäß kommt für Harald Schmidt, der aus der Kritikerumfrage der Zeitschrift „Theater heute“ auch schon einmal als „Nachwuchsschauspieler des Jahres“ hervorgegangen ist, jetzt nur eine hauptstädtische Bühne in Frage und unter den Bühnen der Hauptstadt nur das Berliner Ensemble. Dort werden die tollsten Gagen gezahlt, besteht das Ensemble auch zumeist aus hochrangigen Gästen. Dass Schmidt seine „kreative Pause“ am Schauspielhaus Bochum verbringt, gilt hingegen als unwahrscheinlich. Dort stand er vor nicht allzu langer Zeit bereits als fieser Konzernchef (in dem französischen Zeitstück „Die Direktoren“) und als intellektueller Sklave Lucky in Becketts „Warten auf Godot“ auf der Bühne und hat seine Sache sehr ordentlich gemacht.

Nein, Bochum ist für Harald Schmidt keine Herausforderung mehr. Und da er nun nicht nur seinen Klein-Mephisto Manuel Andrack, sondern auch die schöne Suzana, den Servierer Sven, die komplette Helmut-Zerlett-Kapelle und all die anderen Wasserträger unterbringen muss, kann es wirklich nur das zahlungskräftige Berliner Ensemble werden. Wir freuen uns auf Natalies sexy Ansage: „Und jetzt: Arald Schmidt in ,Die eilige Joanna der Schlachtöfe’ von Bertolt Brecht.“ Darauf trinken wir ein Weizen in der Kantine am Schiffbauerdamm. Auf Harald Schmidt als Faust: „Habe nun, ach Philosophie, Juristerei und Medizin und leider auch Sat 1 studiert mit heißem Bemühn. Da steh ich nun, ich armer Tor …“.

Ja, da stehen wir bald nun und haben abends nichts mehr vor dem Fernseher verloren. Denn man sieht die Harald- Schmidt-Show ja auch dann, wenn man sie nicht sieht. Weil man weiß, dass sie da ist. Und dass man sie einschalten kann, wenn man nichts Besseres zu tun hat. Diese beruhigende Gewissheit ist nun perdu, und allmählich beschleichen uns auch leise Zweifel ob des Berliner Ensembles. Dort wollte man am Mittwoch in der Pressestelle – Peymann selbst hat keine Zeit, er probt für eine vorweihnachtliche Thomas-Bernhard-Premiere – die Offerte an Harald Schmidt nicht weiter kommentieren. Nur soviel: „Ein erklärter Witz ist ein schlechter Witz.“

Das wahre Problem ist aber nicht Claus Peymanns Witzigkeit oder Ernsthaftigkeit, sondern es liegt in Harald Schmidts heißkaltem Theaterblut. Er hat etwas getan, was vor ihm noch keiner vollbracht hat: die Rückverwandlung des Fernsehens zum Theater. Und zwar nicht nur dann, wenn er Dramen der antiken Weltliteratur mit Playmobil-Männchen lustvoll aufführte. Nein, die Harald-Schmidt-Show war immer und stets Theater, und zwar im wörtlichen, nicht im übertragenen Sinn. Das ist auch der wahre Grund des Zerwürfnisses mit Sat 1: Die haben plötzlich nach acht Jahren gemerkt, dass Harald Schmidt gar kein Fernsehen, keine Talk-Show, keine Comedy macht, sondern etwas anderes. Etwas, was nicht ins Fernsehen gehört.

Theater also. Wie er zum Beispiel eine Zeitung aufblättert. Wie er ein Glas zum Mund führt. Oder wie er neulich – eine ganze Sendung lang – immer wieder zum Handy griff und die ganze Palette der telefonitischen Tonlagen („Bis gleich!“, „Ciao Schatz“, „Du, ich bin hier gerade im Studio …“) durchdeklinierte. Künftige Generationen von Schauspielern, Regisseuren und Stückeschreibern werden sich daran abzuarbeiten haben. Wenn sie nicht gleich zum Fernsehen gehen.

Und deswegen wird Harald Schmidt leider nicht ans Berliner Ensemble und auch an keine andere Bühne wechseln. Weil er mit seinem Late-Night-Theater längst Maßstäbe gesetzt und Theatergeschichte geschrieben hat. Seltsame Dialektik: Es ist ein Vergnügen, Harald Schmidt auf der Bühne zu sehen. Doch wenn man ihm dabei länger zuschaut, dann schwindet die Faszination. Weil der Verwandlungskünstler Harald Schmidt dann zum Selbstdarsteller wird – was anderen immer nur im Fernsehen passiert.

Rüdiger Schaper

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