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Medien: „Ich bin eben keine Krawallbraut“

Anne Will, die „Tagesthemen“-Moderatorin. Man kennt ihr Gesicht, und jeder hat ein Bild von ihr. Aber stimmt das auch? Der Image-Test überprüft die Klischees und unsere Vorurteile von Prominenten.

Anne Will, die „Tagesthemen“Moderatorin. Man kennt ihr Gesicht, und jeder hat ein Bild von ihr. Aber stimmt das auch? Der Image-Test überprüft die Klischees und unsere Vorurteile von Prominenten. Von Barbara Nolte

SETTING

Graue Hamburger Vorstadt – wo ist nur der NDR? Ein Porsche, der links abbiegt. Am Steuer: Jörg Pilawa. Hinterher! Haus 18, Erdgeschoss: Anne Will sitzt an ihrem Schreibtisch. Vier Fernseher laufen: Palästinenser schießen, Bio kocht, Merkel redet. Sie hat eine halbe Stunde Zeit, dann muss sie zum Mittagessen mit ihrem Agenten.

MATERIALLAGE

Claus Kleber, der neue „heute journal“-Chef, stiehlt ihr auf den Medien-Seiten zurzeit die Show – aber wem nicht? Sonst, viel Komplimente: Sie sei pointiert („SZ“), intelligent („FR“), erotisch (laut „Playboy“ Platz zwei bei den Nachrichten-Frauen nach Astrid Frohloff von Sat 1).

Zum Einstieg: Suchen Sie sich bitte kurz Ihr Lieblingskompliment aus?

Zur Auswahl stehen:

A) Anne Will ist nach Kerner das größte

Talent, das vom SFB Fernsehen kam.

B) Sie ist die Mona Lisa der ARD.

C) Sie riecht nicht nur gut, sie duftet.

Sie nimmt C. Ob es wirklich nach Kerner heiße, fragt sie. Lachend, klar. Das ist die Gefahr bei ihr, dass sie alle Fragen ironisch beantwortet, und am Ende weiß man gar nichts. Bitte: Ernst! C sei ihr Ernst, sagt sie. Nicht dass ihr manche Komplimente keine gute Laune machten, aber die drei gehörten nicht dazu. „Dennoch“, sagt sie, „gut zu riechen, macht das Leben möglicherweise leichter."

THESE 1

Zur Unterhaltung liest sie von Walter Moers „Das kleine Arschloch“.

Richtig. Aber nur früher, jetzt nicht mehr. „Damals fand ich die Zeichnungen ganz lustig“, sagt sie. „Als ich zuletzt schwer am Ausmisten war, habe ich ein Heftchen gefunden. Flog auch raus.“

THESE 2

Ihr Vorbild ist, wir sind uns nicht sicher, entweder Doris Day oder Hajo Friedrichs.

Anne Will lacht wieder, sie lacht eigentlich die ganze Zeit. Sie ist wirklich: nett. Wie Doris Day.

„Wie sind Sie auf Doris Day gekommen?“, fragt sie.

Weil die so nett ist, so patent.

„Doris Day fand‘ ich früher super, bei der konnte ich mich wegpacken. Aber als Vorbild? Nee. Die wirkte doch reichlich bieder!“

Was Hajo Friedrichs angeht – wir dachten, bei den „Tagesthemen“ ist man verpflichtet, ihn als Vorbild zu nennen.

„Ja, das stimmt“, sagt sie. „Als ‚Tagesthemen‘-Mitarbeiterin kann man sich auch heute in Anlehnung an Hajo Friedrichs immer noch mit keiner Sache gemein machen. Auch nicht mit einer guten. Nun war ich kürzlich mit der Kindernothilfe in Sri Lanka. Da dachte ich: Mache ich mich jetzt gemein?“

STECKBRIEF

In Köln geboren und zur Schule gegangen. Zehntbestes Abitur in der Geschichte des Gymnasiums…

„Stimmt nicht“, sagt Anne Will, „das zehntbeste im Jahrgang“…

Politikstudium, SFB-Volontariat, Moderation der WDR-Mediensendung „Parlazzo“, „Tagesthemen“ .

Was Wichtiges vergessen?

„Nö. Die ,Sportschau’ vielleicht, die haben Sie locker übersprungen. Die habe ich als erste Frau moderiert. War ein Riesenwiggel.“

Wiggel?

„Das ist Kölsch, heißt so viel wie Riesen-Bohei.“

Es heißt, Sie waren eine brave Tochter.

„Mein Bruder war viel konfrontativer. Das hätte ich nicht so gut ausgehalten. Heute denke ich: Na gut, ich bin eben keine Krawallbraut. Muss ich aber auch nicht sein.“

THESE 3

Wenn Sie einen drauf machen wollen, gehen Sie zum Karneval.

„Nur einmal im Jahr – das wäre ein bisschen selten. Aber ich war dieses Jahr tatsächlich an Weiberfastnacht in Köln. Wir haben uns mit Freunden wie Bolle amüsiert, man muss viel Kölsch trinken…“

Sie waren verkleidet?

„Ein bisschen, nicht toll: Ich hatte mir so eine Mütze gekauft.“ Sie zeigt auf ihr Bücherregal: Oben drauf steht ein Filzhut in Form eines Bierkruges.

So ist sie, die echte Anne Will: Stülpt sich gegebenenfalls eine Mütze, die wie ein Kaffeewärmer aussieht, über den Kopf und tanzt Polonaise. Und dann hat sie diesen Hang zu Ausdrücken, die Teenager benutzen, um sich von ihren steifen Eltern abzugrenzen: „Wie Bolle amüsieren“ oder „einen Aus freuen“.

THESE 4

Sie lehnen die Ernsthaftigkeit, die Politik ausmacht, im Grunde ab.

„Das wäre bitter, wenn es so rüberkäme. Denn das ist nicht meine Haltung. Politik ist wichtig und eine ernste Sache. Deshalb beschäftigen wir uns rauf und runter mit ihr. Allerdings gibt es durchaus politische Prozesse, die reine Inszenierungen sind und als solche auch entlarvt gehören. Und das geht über einen klaren Satz oder eben über Ironie.“

Anders formuliert: Sie wollen den Eindruck vermitteln, lockerer zu sein, als der Job ist, den Sie machen.

„Nee, den Eindruck will ich nicht vermittelln – wozu auch?“

Die Sekretärin steht in der Tür: Das Taxi zur Mittagsverabredung wartet draußen. Ein Blick auf die Uhr: Die Zeit ist längst um. „Egal, wir machen noch zehn Minuten!“ sagt Anne Will. Sie ist wirklich freundlich, denkt über jede These nach, erklärt sich: überraschend selbstkritisch. Leider streicht sie bei der Autorisierung des Gesprächs Differenziertes auf ein „Nee, wozu auch?“ zusammen, fügt an eine Selbsteinschätzung ein bestätigendes „Muss auch nicht sein“. Nein, muss nicht sein. Nur liest sich manches jetzt so, als hätte sie tatsächlich diese dicke rheinische Frohnaturenhaut, die abends aus dem Fernsehen schmunzelt. Es ist Zeit für These 5.

THESE 5

Sie sind selbstgefällig.

„Aha“, sagt Anne Will – macht eine Pause. „Also ich hoffe, ich bin‘s nicht.“

Gefallen Sie sich denn selbst?

„Manchmal schon, aber genauso oft hadere ich mit mir.“

Wir kamen drauf, weil Sie sich mal bei der „Goldenen Kamera“ bei Ihren Eltern dafür bedankten, dass sie so eine warmherzige Person geworden seien.

„Ganz so war es nicht. Aber ich weiß, dass ich damals kurz überfordert war. Ich hatte vorher noch nie einen Preis bekommen und war aufgeregt, dabei neige ich nicht dazu. Na, ja, nachher habe ich auch gedacht: Oh, Mann!“

LETZTE THESE

Die „Tagesthemen“ verlieren im Verhältnis zum „heute journal“ Quote. Das kann nicht nur an Ulrich Wickert liegen.

„Stimmt. Uli Wickert moderiert ja nur 26 Wochen im Jahr, in den anderen 26 liegt es an mir. Aber das ist ein allzu einfaches Erklärungsmuster und ohnehin blöd, denn unsere Quoten sind seit Jahren stabil und in den vergangenen Monaten sogar leicht angestiegen.“

SCHLAFGEWOHNHEITEN

Nach der Arbeit kommt sie gegen Mitternacht nach Hause, liest noch, zurzeit ein Buch über Wein, weil sie Ehrensenatorin des Weinsenats vom Bingener Mäuseturm wird. Sie schläft viel, manchmal elf Stunden, wird dann erst um zwanzig vor elf wach – um elf wird sie wieder zur Arbeit abgeholt. „Tagesthemen“-Moderatoren haben erstaunlicherweise Fahrer!

ABGANG

Sie zieht sich ein Cordjacket an, bleibt kurz in der Tür der Sekretärin stehen, reißt einen Arm nach oben wie eine Bodenturnerin vor den Preisrichtern. „Tschö", sagt sie, auf Kölsch, klar. In großen, federnden Schritten läuft sie zum Taxi. Sie bietet der Reporterin an, sie noch mit in die Stadt zu nehmen. Auf der Fahrt: Smalltalk über Waschmaschinen, Intendanten, Zeitungsfusionen. Am Gänsemarkt steigt die Reporterin aus. Anne Will winkt aus dem davonfahrenden Taxi.

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