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Medien: „Ich kann keinen billigen Film machen. Schreiben Sie das!“

Warum Klaus Maria Brandauer nach 19 Jahren Pause wieder in einer deutschen Fernsehproduktion mitspielt

Sie waren die letzten Jahre in vielen Filmen zu sehen – aber in keiner deutschen Fernsehproduktion. Wie kam es zu der langen Abstinenz?

Einerseits habe ich immer Kinofilme gemacht, die ja dann auch ins Fernsehen kamen. Und andererseits habe ich mich viel mit Theater beschäftigt, was ich als meinen Hauptstrang empfinde. Als Regisseur Giacomo Battiato mich besuchte, und wir über das Drehbuch sprachen, fand ich das gleich sehr gut. Was mich an Themen aus dieser Mörderzeit immer wieder fasziniert …

… der Film spielt in der NaziZeit …

… mich fasziniert die Frage, die sich bei der Arbeit daran stets stellt: Was wäre gewesen, wenn ich zu dieser Zeit gelebt hätte? Wie hätte ich mich verhalten? Aber diese Fragen werde ich Ihnen nicht beantworten, weil ich es nicht kann. Ich kann meine Hand nicht ins Feuer legen, und alle, die meinen, sie könnten das in Bezug auf diese Zeit, denen gegenüber bin ich sehr misstrauisch.

Lag die lange Pause auch daran, dass Ihre Messlatte für Rollenangebote recht hoch liegt?

Nein, denn ich hatte einfach sehr viel zu tun in den letzten Jahren. Hier in Europa braucht es eine recht lange Zeit, um einen Film zu realisieren. Glücklicherweise konnte ich mir die Rollen oft aussuchen, aber es gibt viele Leute, die können das nicht. Wir haben 100 000 arbeitslose Schauspieler im deutschsprachigen Raum. Da würde ich von keinem verlangen, dass er eine Messlatte hat. Sondern da muss er zuerst die Mama und die Kinder ernähren. Insofern sind das Fragen, die ich von meiner Warte fast großkotzig beantworten könnte, das möchte ich nicht. Aber es ist so: Ich wähle sehr sorgfältig aus.

Man weiß, dass Sie es sich nicht gerne einfach machen. Was war schwierig an der Figur des Professor Lämmle, die Sie in „Im Visier des Bösen“ spielen?

Ich fand ihn nicht schwierig, aber doch geheimnisvoll. Er ist Philosoph und hat einen sehr merkwürdigen Standpunkt in Bezug auf sein Leben. Das ist für mich ein bisschen merkwürdig und hat mich auch interessiert: Er setzt der Fatalität des Lebens nichts entgegen, sondern denkt, dass man das Leben so ergreifen muss, wie es auf einen zukommt. Vielleicht sind viele Philosophen dieser Meinung, dass unser Einflussbereich auf das Leben sehr, sehr klein ist. Sein Nichterhörtwerden durch diese junge Frau hat ihn mit der Zeit etwas schrullig gemacht. Er erträgt die Realität nicht und sieht aber keine Möglichkeit oder hat keinen Mut, davor zu fliehen. So entsteht bei ihm eine zweite Existenzebene, und daher ist er selbstmordgefährdet.

War es Ihre Idee, den Selbstmord fast beiläufig zu inszenieren?

Es gibt kaum eine Rolle von Hamlet über Ferdinand bis zu Romeo, wo ich nicht auf irgendeine Weise zu Tode gekommen bin. Und wenn man meinen Selbstmord als Oberst Redl über siebeneinhalb Minuten gesehen hat, dann weiß man, was für Möglichkeiten und Variationen es gibt. Hier war es wichtig, dass es aussieht wie eine zufällige, spontane Emotion. Die Szene wurde im schönen, geschnitzten Münchner Rathaussaal gedreht und acht Mal durch schwersten Jubel unterbrochen. Aber nicht, weil die Leute mich so gut fanden, sondern weil draußen 10 000 oder 20 000 Münchner waren, die das fußballweltmeisterliche Spiel Deutschland gegen Saudi-Arabien verfolgten.

Es ist bekannt, dass Sie auch als Schauspieler oft Mitregisseur sind. Diesmal auch?

Nein, ich war bei Giacomo Battiato wunderbar aufgehoben. Ich hätte auch gar keine Zeit gehabt, weil ich auch noch bei den Filmfestspielen in Moskau war und Auftritte in Berlin, Köln und London hatte. Das ließ die Dreharbeiten zu einem Ritt über den Bodensee werden. Ich kann mich eigentlich nur erinnern, dass ich in Wien in ein Flugzeug gestiegen bin, danach in Paris war, dann in Marseille und eine Stunde später bei 40 Grad im Schatten gedreht habe, noch dazu mit einem Mantel, den ich mir extra gewünscht hatte.

Wie klappt dieser schnelle Wechsel zwischen den Rollen? Erst Universitätsprofessor im Jahr 1942, dann wieder Cyrano von Bergerac.

I ch will niemandem zu nahe treten, weder Tschechow noch Shakespeare oder Beckett. Aber die Themenkreise sind so ähnlich, dass man’s nicht für möglich hält: Geburt, Baby sein, Erwachsenwerden, was grauenvoll schwer für uns Kleinkinder ist. Irgendwann wird man pubertär, man verliebt sich, dann hasst man den, den man vorher geliebt hat, weil man verlassen wurde und so weiter. Man lernt alle Abschattierungen einer menschlichen Existenz kennen, dann stirbt man nach hoffentlich nicht allzu schwerer, langer Krankheit, und wenn man Lust hat, kann man darüber nachdenken, was vor der Geburt war und was nach dem Tod sein wird. Und das zieht sich überall durch. Oder glauben Sie vielleicht, dass Peer Gynt nicht auch Faust ist, oder Faust nicht Ödipus? Das ist immer: Zwei Seelen in einer Brust. Auch bei diesem Lämmle, auch bei Ihnen, auch bei mir. Den Regenbogen des Ausdrucks menschlicher Existenz lernen Sie, auch wenn Sie kein Schauspieler sind. Und nun geht es darum, wenn man sich schon traut, vor Menschen für Menschen eine solche Geschichte zu erzählen, dass man verflixt noch mal einigermaßen gebildet und hoffentlich virtuos an die Sache herangeht und beim Spielen vergisst, was man gelernt hat und seine Herzensbildung sprechen lässt. Aber es schadet ni cht, wenn man viel weiß.

Das klang jetzt wie eine Vorlesung im Max-Reinhardt-Seminar, an dem Sie unterrichten. Inwiefern sind die jungen Schauspieler dort heute anders als früher?

Es gibt ein enormes Defizit in der Schulbildung. Es kann heute passieren, dass jemand unbändig gerne zu uns ans Reinhardt-Seminar will, und dann bitte ich ihn, mir ein Gedicht aufzusagen. Dann fragt der: „Bitte?“ Sag ich: „Ein Gedicht!“ – „Weiß ich keins.“ – „Ja, dann singen Sie was.“ – Dann singt er „Hänschen klein“. Wenn es schon so weit kommt, dass Elternversammlungen mit Lehrern sagen: Es ist Psychoterror, „Die Glocke“ auswendig zu lernen, dann hab’ ich äußerstes Bedenken. Und ich scheue mich auch nicht zu sagen, dass es nicht schlimm ist, wenn Theater ein Bildungsbürgertheater ist, und da braucht man nicht nur ein Gedicht zu kennen, sondern mehrere, damit man es vergleichen kann.

Meinen Sie, Theater ist möglicherweise eine Art des Erzählens, die sich nur noch für eine kleine Klientel eignet?

Ich habe nichts gegen eine kleine Klientel. Ich finde ein Kellertheater eine ganz wunderbare Einrichtung, dort kann man fantastische Geschichten erzählen, ganz anders als im großen Burgtheater mit 1400 Leuten. Was mich seit vielen Jahren erschreckt, ist der Besucherrückgang und dementsprechend die Schließung von Theatern. Und manchmal habe ich sogar das Gefühl, dass es den Leuten in politischen Kreisen gar nicht so unangenehm ist, wenn Theater geschlossen werden, weil die ja Geld kosten. Ein Punkt bei der Schließung des Schillertheaters war sicher, damit den Kommunalpolitikern in kleineren Städten auch Lust zu machen, dem großen Beispiel zu folgen. Da müssen wir überleben. Künstlerisch tätig zu sein, ist keine gemähte Wiese, wie wir bei uns in Österreich sagen, sondern das muss man durchsetzen.

Was planen Sie für die nähere Zukunft?

Ich habe die Absicht, als Regisseur wieder einen Film zu drehen. Aber da ich die Filmregie als Autodidakt gelernt habe, brauche ich dafür recht viel Geld. Ich kann keinen billigen Film machen. Schreiben Sie das bitte, damit die Leute mich nicht für kleine Low-Budget-Projekte anrufen. Ansonsten wird uns sicher wieder irgendwas einfallen. Und wenn uns nichts einfällt, dann warten wir. Dann geh’ ich erstmal nach Altaussee, trink’ ein Gösser Bier und schau mir den Dachstein an.

Das Gespräch führte Simone Schellhammer.

„Im Visier des Bösen“, ARD, 21 Uhr (1. Teil), 23 Uhr (2. Teil)

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