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Medien: Im Radio: Die Leiden der Freien

Mitte der achtziger Jahre haben wir alle an Heiner Müllers Unsterblichkeit geglaubt. Ganz Europa spielte seine Theaterstücke, es gab Festivals, die seinen Namen trugen, jedes Podium, das Müller betrat, verwandelte sich unverzüglich in einen Ort des Orakels.

Mitte der achtziger Jahre haben wir alle an Heiner Müllers Unsterblichkeit geglaubt. Ganz Europa spielte seine Theaterstücke, es gab Festivals, die seinen Namen trugen, jedes Podium, das Müller betrat, verwandelte sich unverzüglich in einen Ort des Orakels. Noch in Jahrhunderten, so dachten wir damals, würde man diesen kleinwüchsigen Sachsen als Weltweisen und Ausnahmepoet rühmen. Nun ist Müller seit fünf Jahren tot, und schon verstaubt sein Werk in den Bibliotheken. Er scheint so sehr gestorben wie der wissenschaftliche Sozialismus, dessen Borniertheit er doch so oft sarkastisch geißelte. Müller hat Dramen über Revolution und Geschichte geschrieben, die seit 1989 kein Theater mehr aufführen will. Da macht es neugierig, wenn ein Literaturfeature nun seine Wiederentdeckung im 21. Jahrhundert prophezeit. "Der Außenseiter als Repräsentant" nennt Nikolaus Müller-Schöll eine Sendung, in der es um Müllers Lebensleistung als Dramatiker geht, aber vor allem um den Beweis, dass dessen Texte auch in Zukunft lesenswert sein werden. Anmerkungen zu einem fast schon vergessenen deutschen Nationaldichter (SWR 2, 27. März, 21 Uhr, Kabel UKW 107,85 MHz).

Vielleicht gibt es gar keine Unsterblichkeit mehr in unserer rasenden Welt. Jedermann wird berühmt für eine Viertelstunde, und ist schon vergessen, wenn die nächste Zeitung erscheint. Auch die Figuren in Irina Liebmanns Hörspiel "lolalola.de" kennen nichts als die Sorge des gegenwärtigen Tages. Liebmann erzählt eine Geschichte aus dem hauptstädtischen Kulturbetrieb, in der es um Leute geht, die nur noch e-mail-Adressen haben, um Redakteure, die ihre Versprechen niemals wahr machen, und um die Sehnsucht der Freiberufler nach einer festen Anstellung. Eine Art Comicstrip aus dem Leben der zeitgenössischen Medienintelligenz. Das tägliche Feuilleton als Bewusstseinshorizont, die Erhöhung des Zeilenhonorars als größte denkbare Utopie. Wer redet da noch von Unsterblichkeit. Lieber ein gut bezahltes Praktikum erwischen (Deutschlandradio, 30. März, 19 Uhr 05, UKW 89,6 MHz).

Aber auch für materiell darbende Freiberufler gibt es Auswege. Beim Südwestradio startet eine Essayreihe mit dem Titel "Vom einfachen Leben". In der ersten Folge erfahren wir alles über "Die Tugend der Genügsamkeit". Über eine asketische Lebensphilosophie, deren Meister Diogenes in seiner Tonne war. Alexander wollte Diogenes alle Herrlichkeiten dieser Welt zu Füßen legen, aber der bat nur um freien Blick auf die Sonne. Das ist der wahre Weg zur Unsterblichkeit. Nicht einmal Freiberuflern bleibt er verwehrt (SWR 2, 29. März, 8 Uhr 30).

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