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Nur noch online? Mitarbeiterinnen der Zeitung „Ma’ariv“ protestieren in Tel Aviv. Die renommierte israelische Tageszeitung steht vor dem möglichen Aus.

© Ma’ariv

Israels Tageszeitungen in der Krise: Kleiner Markt, viele Sprachen

Die renommierte Zeitung „Ma’ariv“ steht vor dem Aus. Aber sie ist nur ein Beispiel für den angespannten Printmarkt in Israel.

Der Anruf kam am Freitagnachmittag, kurz bevor in Israel der Schabbat beginnt. Die Geschäftsführung der Tageszeitung „Ma’ariv“ informierte die Redakteure, sie könnten am Samstagabend zu Hause bleiben, die Zeitung werde am darauffolgenden Tag nicht erscheinen. Der Eigentümer Shlomo Ben Tsvi, der das Blatt vor eineinhalb Jahren gekauft hat, ist zahlungsunfähig. „Wir haben uns entschieden, trotzdem zu kommen und das Blatt zu planen. So konnten wir die Seiten zumindest online veröffentlichen“, sagt die Redakteurin und Co-Leiterin des Betriebsrats, Gaby Goldman. „Hunderte Leser rufen seit Tagen an und fragen, wo ihre Zeitung bleibt.“

Die kostenlose Tageszeitung „Israel HaYom“ hat die Anzeigenpreise gedrückt

Nur ein Beispiel. Israel ist stark von der Zeitungskrise betroffen. Die Blätter verlieren Leser und Einnahmen. Die kostenlose Tageszeitung „Israel HaYom“ hat die Anzeigenpreise gedrückt. Der Geldgeber des Blattes, der amerikanische Milliardär Sheldon Adelson, kann Anzeigenplätze zu niedrigen Preisen verkaufen. Adelson hat „Israel Hayom“ erst 2007 gegründet. Das Blatt steht Premierminister Benjamin Netanjahu und seiner Likud-Partei nahe und wird daher oft spöttisch „Bibiton“ (Bibi-Zeitung) genannt. Zusammen mit „Yedioth Ahronoth“ führt es den Zeitungsmarkt an.

Nun hat es „Ma’ariv“ erwischt. In gedruckter Form ist die Morgenausgabe von „Ma’ariv“ seit Sonntag nicht mehr erschienen – immerhin wird die kostenlose, kleine Abendausgabe noch an Straßenkreuzungen verteilt. Am Montagmittag haben die Mitarbeiter vor dem Redaktionsgebäude demonstriert. „Ma’ariv“ steckt schon seit Jahren in der Krise und wechselte häufig die Besitzer, vor anderthalb Jahren übernahm Shlomo Ben Tsvi, Eigentümer der konservativen Tageszeitung „Makor Rishon“. Er schaffte es nicht, das Blatt zukunftsfähig zu gestalten. Monatelang hatte „Ma’ariv“ finanzielle Probleme und konnte teilweise Gehälter nicht zahlen. Vergangene Woche beantragte Ben Tsvi vor Gericht einen Schutz vor den Forderungen der Gläubiger, der ihm dann für zwei Monate gewährt wurde. Der Treuhänder Chen Berdichev will nun angeblich das Blatt verkaufen.

Rund 20 Prozent der Bevölkerung arabisch und lesen daher vornehmlich andere Blätter

Mit gerade einmal rund acht Millionen Einwohnern hat Israel eine geringe potenzielle Leserschaft. Außerdem sind rund 20 Prozent der Bevölkerung arabisch und lesen daher vornehmlich andere Blätter. „Dann gibt es noch viele ultraorthodoxe Juden, die ebenfalls nicht als Leser infrage kommen, ebenso wie Teile der großen russischsprachigen Gemeinschaft“, sagt der Medienexperte Shuki Tausig. Er ist selbst ein gutes Beispiel für diese Krise. Vor acht Jahren arbeitete er noch für die Tageszeitung „Haaretz“, wurde dann im Zuge der Sparmaßnahmen entlassen. Heute schreibt er für das Medienmagazin „HaAyin HaShevi’it“. Und sagt: „In der Schlange vor der Guillotine steht ,Haaretz’ gleich hinter ,Ma’ariv’, die Hände wurden ihr schon abgehackt.“

Seit 2006 ist die Kölner Verlagsgruppe M. Du Mont Schauberg beteiligt

Seit 2006 ist die Kölner Verlagsgruppe M. Du Mont Schauberg zu 25 Prozent an der Haaretz-Gruppe beteiligt. Zu ihr zählen einige Wochenblätter sowie die linksliberale „Haaretz“. Sie hatte zwar nie eine so hohe Auflage wie „Yedioth Ahronoth“, zählt aber zu den wichtigsten Blättern des Landes und ist wegen ihrer kritischen Texte und Analysen international anerkannt. In den vergangenen Jahren musste die Geschäftsleitung immer wieder Mitarbeiter entlassen, 25 waren es Ende 2013. Ein Jahr zuvor hatten Redakteure gegen eine große Entlassungswelle protestiert, die Zeitung erschien an einem Tag nicht. Die Einnahmen sinken, nicht zuletzt, da die auflagenstarke „Israel HaYom“ im vergangenen Jahr das Druckhaus von „Ma’ariv“ gekauft hat und nun nicht mehr bei „Haaretz“ druckt. Lissy Kaufmann, Tel Aviv

Die Aussichten für Journalisten in Israel sind schlecht. In vielen Redaktionen ist der Altersdurchschnitt mittlerweile sehr gering. Wer eine Familie ernähren möchte, wechselt lieber in einen besser bezahlten Beruf. „Mit 37 fühle ich mich als Journalist schon sehr alt“, sagt Shuki Tausig. Die Redakteure von „Ma’ariv“ allerdings wollen trotz aller schlechten Prognosen noch nicht aufgeben. „Wir schauen uns noch nicht nach einem anderen Job um“, sagt Gaby Goldman. Journalismus sei eben ein bisschen wie eine Sucht. Wenn man einmal damit angefangen habe, findet man kaum einen anderen, so erfüllenden Beruf.

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