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Joschka-Porträt: Durch dick und dünn

Hubert Seipels Porträt "Joschka – eine Karriere" strahlt das ZDF nun in kompletter Länge aus.

Vom Revolutionär zum Außenminister: Wenn einer den langen Marsch durch die Institutionen über die volle Strecke absolviert hat, dann Joschka Fischer. Er organisierte mit Bundeskanzler Gerhard Schröder 1998 die linke Mehrheit, wurde zur Symbolfigur der 68er-Generation – für die einen ein Hoffnungsträger oder einfach erfrischend anders, für die anderen ein rotes Tuch oder nur ein Opportunist mit dem Willen zur Macht. Als Grünen-Politiker brachte er seine ehemals pazifistische Partei sogar dazu, dem ersten Kriegseinsatz Deutschlands nach dem zweiten Weltkrieg zuzustimmen (im Kosovo-Konflikt 1999). Ein Stehaufmännchen, das buchstäblich durch dick und dünn gegangen ist und als Außenminister schließlich zum beliebtesten deutschen Politiker aufstieg.

Der Versuch, dieser schillernden Figur aus Anlass des 60. Geburtstags ein kritisches Porträt zu widmen, war beim ZDF im Frühjahr schiefgegangen. Nachdem der Entwurf eines ersten Autors abgelehnt worden war, übernahm der renommierte Journalist Hubert Seipel (Deutscher Fernsehpreis für „Und du bist raus“). Dessen Zweiteiler war von der Redaktion bereits abgenommen, doch nach interner Kritik aus der Chefetage wurde Seipel kurzfristig aufgefordert, seinen Film um die Hälfte zu kürzen. Die 45-minütige Version wurde am 25. März ausgestrahlt. Seipel machte seinem Ärger mit Zensurvorwürfen gegen Chefredakteur Brender Luft, nahm dies aber nach einem persönlichen Gespräch wieder zurück. Brender ließ verlauten, er habe die Kürzung auf nur noch eine Folge niemals angeordnet. Das ZDF versprach, den kompletten Film „baldmöglichst“ auszustrahlen.

Nach Mainzer Zeitrechnung bedeutet dies: neun Monate später, tief in der Nacht. Seipel bucht das Hickhack unter „hoch interessante Erfahrung“ ab und kann ihm sogar Positives abgewinnen: „Man kann sich als Autor wehren und auch etwas erreichen.“ Sein Zweiteiler sei ohne inhaltliche Eingriffe vom ZDF übernommen worden. Die Aufregung ist ohnehin nicht ganz verständlich: Auch in der Kurzfassung hatte Seipel pointiert, bisweilen auch polemisch den politischen Werdegang von Joschka Fischer geschildert. Dafür hat er nun mehr Zeit. Die Hektik ist raus, der Tenor ist geblieben.

„Keiner hat sich so oft neu erfunden und seine Positionen gewechselt wie Joschka. Je nachdem, was gerade angesagt war“, kommentiert Seipel zu Beginn. Der Autor hält das durch, der Opportunismus-Vorwurf zieht sich durch den Film. Es ist einleuchtend, dass man einem gerne zuspitzend argumentierenden Ex-Politiker ebenso zugespitzt zu Leibe rückt. Aber für ein differenziertes Porträt greift dieser Ansatz zu kurz, weil Seipel keine Brüche und Entwicklungen kennt, sondern nur die Kontinuität des Wendehalses. Selbst die extremen körperlichen Wandlungen sieht er vor allem als Ausdruck von Fischers Talent, sich selbst zu inszenieren. Der erste Teil erzählt Fischers Lebensabschnitt als revolutionärer Straßenkämpfer in Frankfurt und seine Entwicklung zum Berufspolitiker und Minister in Hessen. Seipel präsentiert keine neuen Erkenntnisse, seltenes Bildmaterial und mit dem ehemaligen Polizeipräsidenten Knut Müller einen ungewöhnlichen Zeitzeugen. Der zweite Teil handelt vornehmlich von der rot-grünen Regierungszeit. Auch hier spitzt Seipel gerne zu. Fischer „braucht nicht viele Überzeugungen, er ist vor allem von sich überzeugt“. Auf den Film, der sich Fischer jenseits von Verehrung oder Verdammnis nähert, muss man noch warten. Thomas Gehringer

„Joschka – eine Karriere“, 28. Dezember und 4. Januar, 23 Uhr 35 im ZDF

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