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© promo/Tsp

Jubiläum: Zum 30-Jährigen eine"„Sonntaz"

So genial wie dreist: Weil sich die "taz" keine weitere Ausgabe leisten kann, wird der Samstag umdeklariert

Glücklich, wer endlich 30 ist – wie die „taz“: Er darf seine Cocktails genüsslich trinken, anstatt sie immer gleich werfen zu müssen. So sieht es jedenfalls der AxelSpringer-Verlag, der gestern in der Jubiläumsausgabe der „taz” mit einer ganzseitigen Anzeige gratulierte. Auch „Spiegel“ und „FAZ“ schalteten Geburtstagsglückwünsche und signalisierten damit, dass die einst als „linksradikal“ bezeichnete „taz“ längst dazugehört zur großen Medien-Familie: als nette kleine Schwester.

Die „taz“ selbst wirbt für sich mit dem Spruch „Bereit zur Veränderung“, macht in der Jubiläumsausgabe aber erfreulich wenig Brimborium um ihren Jahrestag. Ein neues, feines, aber auch verwechselbareres Layout und die Erfindung der „Sonntaz“ sind die stillen Gaben zum Geburtstag. Alles in Farbe – das ist mittlerweile internationaler Standard. Der Titel-Schriftzug ist nun nicht mehr in roter Schrift, sondern weiß auf rotem Grund gehalten – nach dem ästhetischen Vorbild der Linkspartei. Darunter grüßen Barack Obama, Gerhard Polt und Elfriede Jelinek als freigestellte Köpfe in einer jetzt schon eher verbrauchten Ästhetik, die an die „Welt am Sonntag“ erinnert. Aber was soll’s: Die nächste Blattreform kommt bestimmt.

Tatsächlich ist der Wille zum Wandel das verlässlichste Charakteristikum der „taz“. Bei der Gründung vor 30 Jahren kamen Menschen aus den verschiedensten Bewegungen zusammen: Friedens- und Atombesorgte, Frauen- und Schwulenrechtler, Hausbesetzer und Naturschützer, RAF-Sympathisanten und Pazifisten. Gemeinsam war ihnen, dass sie kaum journalistische Erfahrung besaßen und noch nie eine Zeitung gemacht hatten. Das „Projekt taz“ war ein sozialer Großversuch, der nicht nur eine neues Produkt hervorbrachte, sondern auch alternative Formen des Arbeitens und Zusammenlebens – mit all den basisdemokratischen Mühen und Reibereien, aber eben auch mit viel Leidenschaft und Gestaltungsraum.

„Learning by doing“ ist das aus der Not geborene „taz“-Prinzip geblieben. Es ist, was deren Überlebensfähigkeit angeht, kein schlechtes Prinzip. All die Legenden vom stilbildenden Chaos, von Müllsäcken auf den Fluren, trocknenden Kinderwindeln auf den Heizkörpern und überquellenden Aschenbechern sind ja nur die halbe Wahrheit. Die andere ist, dass die „taz“, die doch immer hart am ökonomischen Untergang operierte, ein enormes Erneuerungspotenzial besaß und nicht nur sich selbst, sondern auch das deutsche Zeitungswesen veränderte. Sie hat mit Ökologie, Internationalismus, Frauenemanzipation neue Themen in der Öffentlichkeit durchgesetzt und mit Witz und Ironie die Stilvielfalt des Journalismus erweitert. Allein für Schlagzeilen wie „SPD deutlich über 5 Prozent“ hat es sich gelohnt.

Die „taz“ war häufig Avantgarde. Ihre Blattmacher haben früh begriffen, dass die Tageszeitung im Internet-Zeitalter eine bedrohte Spezies ist. Wenn „News“ und „Content“ in immer kleinere Teile zerlegt und immer schneller durch den Web-Orbit geschossen werden, kommt es nicht mehr so sehr auf Tagesaktualität und Informationsmenge an, sondern auf die Fähigkeit zu bündeln und zu orientieren. Die „taz“ war schon immer langsamer und lückenhafter als ihre Konkurrenz. Das ist heute ihr Vorteil. Bei der letzten, umfassenden Blattreform im Jahr 2000 wurden die Schwerpunktseiten eingeführt. Seither gibt es täglich vier bis fünf Hintergrundthemen, mit denen das, was früher einmal eine Zeitung ausmachte – Nachricht, Meinung, Kommentar – nach hinten gedrängt wird. Es war ein erster Schritt hin zur täglich erscheinenden Wochenzeitung.

Die neue „Sonntaz“ setzt diese Entwicklung fort und knüpft an den Markterfolg der unterhaltungsorientierten Sonntagszeitungen an. Da die „taz“ eine zusätzliche Sonntagsausgabe nicht finanzieren könnte, deklariert sie eben den Samstag um. Das ist so dreist wie genial. „Samstaz“ müsste das Produkt besser heißen, denn in eine richtige Sonntagszeitung gehören zumindest die Bundesligaberichte vom Samstagsspieltag. Die neue Wochenendbeilage bündelt, was es in der „taz“ auch bisher gab: von den Literaturseiten bis zum Reiseteil. Dennoch lassen sich daran einige signifikante Veränderungen ablesen. „Nächste Woche“ heißt eine Seite, die nicht von gestern, sondern von der Zukunft handelt – immerhin ein origineller Versuch, die Tagesaktualität zu überholen. Neu sind auch die Rubriken „Körper“, „Konsum“ und „Bewegungen“ – wobei Letztere nicht von gymnastische Übungen handelt, sondern tatsächlich von den Ursprüngen der „taz“ als „Bewegungszeitung“: von politischen Aktivisten.

Dass dahinter gleich „Konsum“ folgt ist kein Zufall, denn auch Konsum ist für die „taz“ ein Feld kritischer Auseinandersetzung und selbstbewusster Lebensweise. In der Kolumne „Ökosex“ wird Woche für Woche der Eros des Energiesparens gefeiert und herausgearbeitet, wie toll es ist, beim Autoquartett nicht auf hohe PS-Zahlen, sondern auf niedrigen Benzinverbrauch zu setzen. Politisches Engagement und Genuss passen durchaus zusammen. Das unterscheidet die „taz“ von heute von der Zeitung der 80er Jahre, als linke Moral auf Verzicht ausgerichtet war. Damals trank man in der „taz“-Redaktion die magenzersetzende „Sandino-Dröhnung“. Der Genussverzicht durfte als Solidaritätsleistung mit dem sandinistischen Nicaragua verbucht werden. In den 90ern stieg man auf den hauseigenen „tazpresso“ um. Beste afrikanische Bohnen mit feinster Crema, fair gehandelt, ökologisch angebaut und dann auch noch schmackhaft: Was will man mehr. Es ist ein Kaffee für ambitionierte Hedonisten und globalisierungsbewusste Feinschmecker. Das sind die Leser von heute, sonntaz und werktaz.

Der Autor war von 1997 bis 1999 „taz“-Redakteur. Von ihm stammt das Buch „Die taz. Eine Zeitung als Leseform“ (Hanser-Verlag, 2007).

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