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Diekmann Döpfner

© dpa

Kai Diekmann: "Wir lauern nicht hinter jedem Busch"

„Bild“ erscheint jetzt in Berlin. Ein Gespräch mit Chefredakteur Diekmann über jagende Journalisten, nervige Kritiker, Konkurrenz und ausbleibende Proteste.

Wenn Sie aus den Springer-Hochhäusern in Hamburg und in Berlin schauen – sehen Sie da grundsätzlich verschiedene Städte?

Wenn ich in Hamburg aus dem Fenster schaue, sehe ich auf der einen Seite die Alster und auf der anderen Seite den Elbhafen – eben eine Stadt am Wasser. Hamburg ist ohne Frage eine wunderschöne Stadt. Aber Lebensqualität ist nun einmal kein Kriterium für guten Journalismus, insbesondere nicht für eine Zeitung wie „Bild“. So eine emotionale Zeitung mit Ecken und Kanten lebt nicht nur von den schönen Dingen. Berlin ist ein Stück weiter im wahren Leben verankert.

Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit schreibt in seinem Grußwort an die „Bild“ auch: „Sei fair“. Muss er Unfairness befürchten?

Klaus Wowereit freut sich bestimmt, dass wir hier sind. Wir tun Berlin gut. Das wird ein fröhliches Miteinander.

10 000 Journalisten sollen in Berlin hinter Nachrichten herjagen. Jetzt kommen mehrere hundert „Bild“-Reporter dazu. Steigt der Druck, bis der Kessel platzt?

Vor allem ist ein gesunder Wettbewerb gut für die journalistische Qualität. Es ging uns mit dem Umzug nicht hauptsächlich darum, dass wir näher an die Politik heranrücken wollen, dafür haben wir unser Parlamentsbüro. Wir ziehen auch nicht nach Berlin, um hinter jedem Busch zu lauern. Es geht uns vielmehr darum, die kreative Atmosphäre zu spüren, die in der Stadt herrscht. „Bild“ passt einfach besser zu dieser Metropole, die wächst, die überrascht, wo so viel passiert.

Der von Ihnen behauptete Informationsvorsprung ist real?

Ja. Berlin ist auch kulturelles Zentrum, Lifestyle-Zentrum, hier werden Trends kreiert. Hier sind wir dichter dran, schneller dran. Was macht denn den journalistischen Erfolg des „Spiegel“ aus? Das sind die beiden wichtigen Deutschlandressorts, und die haben ihre Büros längst am Pariser Platz. Selbst einer der Herausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ hat seinen Lebensmittelpunkt nicht etwa in Frankfurt, sondern hier. Nun kann eine „Frankfurter Allgemeine“ genauso wenig nach Berlin ziehen wie eine „Süddeutsche“. Aber wir können es.

Dass Horst Seehofer eine Geliebte hatte und Guido Westerwelle homosexuell ist, wanderte schon länger durch die Berliner Medienszene. Wann machen Sie ein Gerücht zur Schlagzeile?

Als sich Guido Westerwelle dazu entschloss, seine Beziehung zu einem Mann öffentlich zu machen, da konnte man darüber schreiben. Eine andere Situation ist, wenn es eine journalistische Berichterstattungspflicht gibt. Wenn zum Beispiel ein Politiker Wasser predigt und Wein säuft. Das war bei Seehofer der Fall. Es gab das Gerücht über eine Geliebte, die angeblich ein Baby erwartet. Das haben wir verifiziert. Jemand, der Vorsitzender der Christlich-Sozialen Union werden will und im „Bayernkurier“ die Politiker kritisiert, die mit dem Ehering am Finger ein Doppelleben pflegen – dessen eigenes Doppelleben ist natürlich öffentlich relevant.

Denken Sie in gleicher Weise journalistisch, wie Sie unternehmerisch denken?

Ohne wirtschaftlichen Erfolg hätten wir nicht die publizistischen Möglichkeiten, die wir brauchen, um eine gute Zeitung zu machen. Wir brauchen den wirtschaftlichen Erfolg, um uns gute Journalisten leisten zu können, teure Reportagen zu realisieren oder wie zuletzt beim Rekord-Jackpot für fast 150 000 Euro Lottoscheine an die Leser zu verlosen.

In einigen Städten wie Frankfurt und Hamburg kostet die „Bild“ bereits 60 Cent, die Berliner zahlen noch 50 Cent. Wann wird „Bild“ auch in der Hauptstadt teurer?

Ich weiß, jeder Chefredakteur fürchtet die Preiserhöhung wie der Teufel das Weihwasser. Die Preiskämpfe nach unten halte ich jedoch für völlig falsch. Dem Leser zu suggerieren, gute Informationen seien für wenig Geld zu haben, ist ein Fehler, den andere in Berlin gemacht haben. Wir werden ihn nicht wiederholen. Vergleichen sie doch mal, was ein Cappuccino und was eine Zeitung kostet. Das steht in keinem Verhältnis.

Die Mitarbeiter von „Bild“ und bild.de sitzen jetzt ebenfalls in Berlin zusammen. Gilt auch hier die Springer-Devise: „Online first“?

Wir können doch nicht leugnen, dass es eine junge Generation gibt, die ihre Informationen nicht mehr selbstverständlich aus der Zeitung bezieht. Aber wir sind ja glücklicherweise keine Papierhändler, sondern wir bieten Inhalte an. Und auf welchem Weg diese Inhalte, ob über Print, Online oder mobil, dann zum Leser kommen, ist eine zweitrangige Frage. Wir schauen uns deshalb zuerst die Inhalte an und entscheiden dann, wie wir sie veröffentlichen. Deshalb heißt unsere Devise eher „Content First“.

Die Online-Portale gieren nach dem Bewegtbild. Die WAZ kooperiert deswegen mit dem WDR. Wie kommt bild.de zum Bewegtbild?

Gerade beim Thema Bewegtbild kommt es darauf an, im Internet eben nicht das Fernsehen zu kopieren. In eine Fernsehkamera werden nur vorgefertigte Sätze und Floskeln gesprochen. Bei einer kleinen Videokamera im Handyformat ist alles viel entspannter, viel familiärer. Dieser unmittelbare Eindruck ist das, was die User fasziniert.

Der „Bild“-Reporter wird Videoblogger.

Ich ermuntere unsere Redakteure, immer mehr auf diese Weise zu arbeiten und zu jeder gedruckten Geschichte, wann immer es geht, auch einen Videofilm anzubieten. Ich ärgere mich die Hölle, dass ich das selbst nicht schon viel früher und viel intensiver getan habe, zum Beispiel, als ich im letzten Jahr beim Dalai Lama oder bei George Bush im Weißen Haus war.

Aber den Bildblogger Stefan Niggemeier können Sie nicht leiden?

Was sollte ich gegen ihn haben? Wir haben zwar jeden Tag selbst eine sehr strenge Blattkritik, die Blogger nehmen uns aber zusätzlich eine Menge Arbeit ab, indem sie echte oder vermeintliche Fehler suchen und uns darauf hinweisen. Es ist wahr: „Bild“ ist überhaupt nicht zimperlich, wenn es darum geht, kräftig auszuteilen. Da ist es selbstverständlich, dass wir uns Kritik gefallen lassen müssen und dabei auch nicht empfindlich sein dürfen. Ich bin glücklich, dass wir so vielen Kollegen in den Medienressorts ihre Arbeitsplätze dauerhaft sichern.

Jetzt sind im Springer-Hochhaus „Welt“ und „Bild“ vereint. Was ergibt sich daraus?

Die härteste Konkurrenz findet man oft im eigenen Haus. In Hamburg bestand der Wettbewerb eigentlich nicht zwischen uns und der „Hamburger Morgenpost“, sondern zwischen „Bild“ und „Hamburger Abendblatt“. Aber dieser Wettkampf zwischen den Titeln von Axel Springer findet immer sportlich und kameradschaftlich statt. Auf jeden Fall werden „Bild“ und „Welt“ keine Artikel untereinander austauschen.

Der Berliner Boulevardmarkt: Der „Berliner Kurier“ aus dem Berliner Verlag sichert den Alexanderplatz ab, die „BZ“ von Springer verteidigt den Ku’damm. Die „Bild“ streichelt welche Seite?

Wir sind ein gesamtdeutsches Medium, wir sind eine Zeitung für ganz Berlin. Deswegen kann der „Berliner Kurier“ seinen Populismus mit Blick auf eine bestimmte Klientel ausleben. Da ist „Bild“ anders aufgestellt: Wir müssen den Osten wie den Westen im Blick haben.

Keine Trennung bei den Themen, bei den Schlagzeilen, bei den Kommentaren?

Wir kommentieren niemals unterschiedlich. Bei den Themen, die ins Blatt kommen, sieht es etwas anders aus. Beispiel Schauspieler: Es gibt im Osten Stars, die im Westen völlig unbekannt sind. Diese schaffen es in den Ausgaben für die neuen Bundesländer auch in die Schlagzeilen. Noch unterschiedlicher ist es beim Sport: In Hamburg feiern wir den HSV, in Berlin Hertha.

Nach den Schüssen auf Rudi Dutschke am 11. April 1968 brannte das Springer-Haus in Berlin. Jetzt protestiert niemand. Ist das der späte Sieg der Springer-Imperialisten über die 68er-Kommunisten?

Eine solche Interpretation würde ich mir nicht zu eigen machen. Nein, das wiedervereinigte Deutschland ist ein anderes Land, Berlin eine völlig andere Stadt geworden. 1968 ist graue Geschichte.

Das Interview führten Joachim Huber und Sonja Pohlmann.

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