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Medien: Klasse schießt auf Masse

Das ZDF ist der Krimisender Nummer eins im deutschen Fernsehen

Der korrupte LKA-Beamte will auspacken und die Hintermänner des Drogenkartells doch noch verraten. Der Berliner Kriminaldauerdienst verabredet sich mit ihm auf dem Gendarmenmarkt, doch unsichtbare Scharfschützen schlagen zu: Zwei Kommissare und der Zeuge werden angeschossen. Sind sie alle tot? Auflösung irgendwann. Serienstaffeln sind schon weniger schroff zu Ende gegangen. Krimispannung, das ist „der Speck, mit dem sich die Mäuse fangen lassen“, sagt ZDF-Fernsehspielchef Hans Janke. Im Fall von „KDD“, der aufregendsten deutschen Serie der vergangenen Jahre, müssen die Mäuse allerdings ihren Appetit gewaltig zügeln, denn die zweite Staffel wird wohl erst 2008 ausgestrahlt.

Das ZDF legt derzeit so viel Speck aus wie kaum ein anderer Sender im deutschen Fernsehen. Beinahe kein Sendetag vergeht am Vorabend oder Abend ohne Krimi aus Mainz. In jeder beliebigen Woche sind es bis zu ein Dutzend Sendeplätze, auf denen Kriminelle zur Strecke gebracht werden. Nur Sat 1 hat mit wöchentlich rund 25 Sendeplätzen für Krimifreunde mehr zu bieten, darunter allerdings pseudo-dokumentarische Billig-Reihen wie „Lenßen & Partner“ und „Niedrig und Kuhnt“, die eigentlich jeder Beschreibung spotten. In der Masse mag der Berliner Privatsender vorn sein, in der Zuschauergunst mag die ARD-Reihe „Tatort“ unschlagbar sein, doch bezogen auf die Vielfalt eigenproduzierter Formate ist das ZDF Deutschlands Krimisender Nummer eins.

Die ungebrochene Lust auf Krimis hat jedoch auch seine Schattenseite: einen Verdrängungseffekt. Wer auch mit dem durchschnittlichsten Krimistoff eine akzeptable Quote einfährt, der muss keine originellen Film-Erzählungen riskieren, für die ZDF der „Fernsehfilm der Woche“ am Montag der richtige Platz wäre. Dass die Redaktion hier zunehmend auf solide Krimi-Quotenbringer setzt – und natürlich auf Beziehungskomödien – und immer seltener auf das sperrige Drama oder Einzelstücke mit gesellschaftspolitischem Thema, wird vom ZDF bestritten. „Wir halten nichts fern“, sagt Janke. Allein die Qualität entscheide, welches Buch realisiert werde. Allerdings sei die „Kraft des starken, realistischen Erzählens“ zuletzt allgemein geschwunden – „auch bei der ARD“. Aus der Redaktion heißt es, man bemühe sich, eine Drittelparität zu erreichen: zu gleichen Teilen Krimi, Komödie und Drama. Bis Ende April trifft das für dieses Jahr durchaus zu.

Wahr ist aber auch: Die „Kraft des realistischen Erzählens“ wird zunehmend von den Krimiformaten selbst beansprucht. Das ZDF liefert einige herausragende Beispiele dafür. In Lars Beckers „Nachtschicht“-Reihe am Montag und besonders in „KDD“ am Freitag ermitteln Polizisten, die weit vom Klischee oder den gemütlichen Polizeirevierserien entfernt sind. Sie sind alkoholkrank und bestechlich, sie mobben sich gegenseitig, sind selbstherrlich, eifersüchtig und verzweifelt, naiv und liebesbedürftig, machen Fehler und erledigen dennoch ihre Arbeit. „KDD“ von den Drehbuchautoren Matthias Glasner und Orkun Ertener erinnert in seiner Dramaturgie eher an den US-Klassiker „Emergency Room“ und ist weniger eine Krimi- als eine Dramaserie mit Figuren mitten aus dem Leben. Sie bietet verdichtete Realität, menschliche Konflikte unter dem Brennglas des Fernsehens. „Und da soll jetzt keiner kommen und sagen, so sei der Alltag nicht“, erklärt Janke. Obwohl die Einschaltquoten – im Durchschnitt 3,71 Millionen Zuschauer – klar hinter den anderen Krimireihen des ZDF zurückgeblieben sind, hat der Sender eine Verlängerung in Auftrag gegeben.

Das gilt ebenfalls für die beiden neuen Reihen, die den 20-Uhr-15-Platz am Freitag „von unten herauf erneuern sollen“, wie Hans Janke sagt. Sowohl „Stolberg“ mit Rudolf Kowalski, der bewusst an die „Kommissar“-Tradition des ZDF anknüpfen soll, als auch „Der Kriminalist“ mit Christian Berkel boten eine behutsame Weiterentwicklung und fuhren mit ihren ersten Staffeln annehmbare Marktanteile ein. „Der Alte“ und „Ein Fall für zwei“ haben freilich ein noch stattlicheres Stammpublikum, weshalb das ZDF eine rabiatere Frischzellenkur gar nicht erst in Erwägung zieht. „Man wirft ja keine Möbel aus dem Fenster, auf denen man noch komfortabel sitzt“, meint Janke. Vielmehr wurde mit Walter Kreye gerade der dritte Darsteller für den „Alten“ verpflichtet, zu sehen ab 2008. Nur auf „Siska“ verzichten die Mainzer in Zukunft. Die Serie habe nicht mehr den lebendigsten und frischesten Eindruck gemacht, erklärt Janke. Auch für „Donna Roma“ mit Jutta Speidel sieht Janke „keinen zwingenden Grund“ zur Fortsetzung. Den Versuch, eine Miniserie von vier Folgen à 60 Minuten am Mittwochabend ins Programm zu heben, werde es jedoch wieder geben.

Bei der Zahl der Krimireihen am Montag oder auch am Samstag sieht Janke die Grenze erreicht. Auf eines der bestehenden Formate zu verzichten, sei nicht geplant. Am Samstag würde er sogar am liebsten 40 Mal im Jahr Bella Block oder einen ihrer Kollegen ermitteln lassen. 2006 waren es 27, in diesem Jahr wird es voraussichtlich 32 Samstagkrimis geben. Speck von unterschiedlicher Qualität wird weiterhin im Übermaß serviert.

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