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Medien: Küsse und Chaos

„Das schöne Mädchen“: Auch Frankreichs Jugend lebt und leidet in der Hölle der Hormone

Von Caroline Fetscher

Im komplizierten Kosmos einer Schule, findet der französische Regisseur Christoph Honoré, kann es genauso zugehen, wie früher an fürstlichen Höfen. Da entwickeln sich Intrigen um Gunst und Zuneigung, um zärtliche Briefe, geheime Notizen, es kommt zu Geständnissen, Küssen, fürchterlichen Missverständnissen. „Das schöne Mädchen“ Junie (Léa Seydoux) also ist verliebt in den nahezu noch schöneren Italienischlehrer Nemours mit den umschatteten Augen und dem sorgfältig ungekämmten Künstlerschopf. Nemours gibt die Freundin Florence auf, verzichtet auf die Affäre mit Marie, um Junie erobern zu können, Abbild einer elegischen Elfe. Doch auch Otto, scheu, stabil und treu, liebt Junie. Den liebt sie zwar nicht, setzt aber trotzdem eher auf ihn. Oder?

L’amour summt unter dem Dach des Pariser Gymnasiums, l’amour partout, während Honoré die Blicke der Kamera so gut wie ausschließlich auf dieses Gebäude richtet, auf seine Räume, den Schulhof, die Flure und die dort täglich ein- und ausgehenden Schülerinnen, Schüler, Lehrer, alle involviert in ein dichtes System von Emotionen, die sich unter der geschlossenen Kuppel des Lernalltags zusammenbrauen. Gedreht hat Honoré „Das schöne Mädchen“ nach dem höfischen Drama „Die Prinzessin von Clèves“, ein 1678 erschienener Roman der Autorin Marie-Madeleine de La Fayette, bekannt als „Madame de Lafayette“.

Erstaunlicherweise hat der konservative Präsident Nicolas Sarkozy den Regisseur dazu provoziert, sich des alten Stoffs vorzunehmen. Denn der Präsident bezeichnete dieses Werk als Musterbeispiel für verstaubte, völlig überflüssige Teile des französischen Prüfungskanons. Falsch, sagt der Regisseur. Er selber denke „genau das Gegenteil“, und er will beweisen, „dass die Jugend für Kunst und den Schock, den sie bewirken kann, ganz besonders empfänglich ist.“ Er habe sich, erklärt er, die „Prinzessin von Clèves“ immer als Drama in einer modernen Oberstufe vorgestellt. Dorthin hat er die Prinzessin mit Junie als schönem Mädchen transponiert, herausgekommen ist dabei etwas Eigenartiges, Eigenes. In sparsamen Episoden, fast beiläufig baut sich das Drama im Klaustrum der Schule auf.

Lakonisch verhandelt vor allem Junie ihre Frage an die Liebe und schließlich ihren Verzicht auf den entflammten Lehrer: „Ich bin nicht dumm, du bist sehr schön, irgendwann verlässt du mich“, prophezeit sie traurig, mit dem Rücken zu ihm. Es braucht Geduld, sich auf diesen verhaltenen Ton und die dazugehörige Nervosität einzulassen.

Stellt die Geduld sich ein, dann schafft der Film, gerade durch seine bewusste Abstinenz und den artifiziellen Rahmen des „Schulhöfischen“, eine besondere Spannung. Wie romantische bis aggressive Teenager zwischen Englisch, Russisch und Mathematik die Doppelbödigkeit eines jeden Gegenübers entdecken, in Neugier, Eros und Erschrecken, darum geht es Honoré. Dafür scheint er sich von Eric Rohmer die vermeintliche Leichtigkeit geliehen zu haben und von François Truffaut das Tragische. Hoch ist der Anspruch. , Die Geschichte, die wie ein Segelflugzeug unter sachten Böen dahinschweben will, landet dann doch. Und kostet am Ende ein Opfer. Caroline Fetscher

„Das schöne Mädchen“, 21 Uhr, Arte

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